Vom Gipfel nach Westen geblickt fragten wir uns nach seiner Besteigung über den Ostgrat, wie es wohl am Grat weitergehen würde, vielmehr, ob eine Gratbesteigung von Westen auf den Grünstein möglich ist und lohnt.
Dem AV-Führer entnimmt man die Möglichkeit dazu, beschrieben als abwechslungsreichstem Anstieg, der vom Hölltörl und vom Marienbergjoch über den Verbindungssattel zu den Marienbergspitzen möglich ist.
Mit diesen verheißungsvollen Aussichten auf eine bärige Gratkletterei machten wir uns kurz vor sieben Uhr vom Gasthaus Arzkasten aus auf den Weg und wählten den Anstieg über das Marienbergtal. Im Schatten und mit der abstrahlenden Sonnenbeleuchtung von den Handschuhspitzen im Tal gegenüber erreichten wir die Marienbergalm gegen acht Uhr, noch keine Zeit zur Einkehr in die nette Alm.
Die erste Möglichkeit den Anstieg auf der Nordwestseite des Grünsteins einzusehen bot sich einige Gehminuten unterhalb der Alm.
Die wild zerklüftete Westseite des Grünsteins erlaubt keinen sonderlich aufschlussreichen Blick die im AV-Führer beschriebene Route zu erkennen, sie verschwimmt zu sehr mit der Östlichen Marienbergspitze und erst mit dem nordwestlichen Winkel am Marienbergjoch tritt die Aufstiegsroute klarer in Erscheinung.
Ein kleiner Nachteil beim Zustieg über das Marienbergtal besteht in dem etwas weiteren Weg zurück vom Joch zur großen Schuttreise zwischen Östlicher Marienbergspitze und Westteil des Grünsteinmassivs, die oben, an ihrem Ursprung den Beginn des Aufstiegs im Fels bildet.
Wir stiegen an geeigneter Stelle (latschenfreie Hänge) vom Steig zum Hölltörl auf Steigspuren in den begrasten Hang – das obere Arzbödele – ein und querten auf ihm wieder leicht zurück nach Norden, um den Rand der Schuttreise zu erreichen, entlang dessen wir zur Klamm am Ursprung der Reise aufstiegen. Im obersten Teil wird dabei eine Wasserrinne mit unangenehmen Rutschflanken überquert.
In der Klamm beginnt leichte Felskletterei über die ersten Absätze an der Grenze zwischen unterem alpinem Muschelkalk (rechts, südlich), der gleich im Aufstieg verschwindet und der Reifling Formation (links, nördlich), in der bis zum Sattel aufgestiegen wird.
Gleich nach den ersten Absätzen und der Klamm kann rechter Hand ein Seil oberhalb der steilen, von gut gangbaren Rissen durchzogenen Flanke gesichtet werden, zu dem man aufsteigt und auf einer begrünten Rippe zwischen der Flanke der Ö. Marienbergspitze und dem Grünstein Westteil endet. Auf dieser Rippe wird weiter aufgestiegen.
Weiter oberhalb zwingt eine aufragende Felswand auf der Rippe nach rechts, etwas näher zum Grünstein hin und man verliert die schön beleuchteten, bizarren Türme der Ö. Marienbergspitze aus den Augen.
An dieser Stelle tritt grauer Reiflinger Knollenkalk mit seinen wellig knolligen Oberflächen deutlich ins Auge und deutlich ist auch die Abgrenzung vom aufragenden Wettersteinkalk des massiven Westteils des Grünsteins. Wir folgten dem sehr interessanten Verlauf der dünnbankigen und steil südfallend bis aufrecht gestellten Schichten bis zum Sattel.
Weiter oben verflachte sich die Felskuppe der Mittelrippe zwischen Ö. Marienbergspitze und Grünstein wieder und die wild zerfurchte Südflanke der Ö. Marienbergspitze trat wieder schön zutage.
Bei der Betrachtung aus diesem Winkel stellten wir uns die Frage ob und wo es eine Abkletterstelle gibt, um von der Ö. Marienbergspitze auf den Sattel und weiter zum Grünstein zu kommen.
Gegenteiliger Meinung diskutierten wir bei der Betrachtung der Flanke kurz über die Möglichkeiten wobei Simon, der den Eindruck von der Besteigung der Ö. Marienbergspitze vom Vorjahr vom Gipfel aus noch geistig vor sich hatte, schüttelte den Kopf und meinte, daß er sich einen Abstieg ohne Abseilen nicht vorstellen kann.
Tatsächlich erscheinen die Wände bei näherer Betrachtung in Sattelnähe als sehr schwierig und wir beschlossen, dieses Thema auf eine Besteigung der Ö. Marienbergspitze zu verschieben um von oben nochmals näher die Wand zu erkunden.
Im Rücken bei Betrachtung der imposanten Südwand befindet sich unser Aufstieg auf den Westgrat und die entfernte Perspektive aus der Ferne ist bei der Suche nach einem Einstieg in die Nordwand des Grünstein Westgrates eine vorteilhafte. Weiters kann von dort aus auch der Grünstein eingesehen werden, um einen Entfernungseindruck zu bekommen.
Sofort fiel uns in Sattelnähe ein Riß- und Bändersystem in der sonst geschlossenen und mächtigen Wandfront auf, das durch die Wand in die obere Flanke des Westgrates führen sollte und wir überquerten den Sattel mit atemberaubender Aussicht auf die nördliche Mieminger Kette und hinab zu den Seen.
Vom Sattel aus sehr eindrucksvoll zu betrachten ist die geologische Trennfuge am oberen Drachenkopfgrat, gleich nach dem Gipfel des Grünsteins, zwischen Reiflinger Bankkalk (südlich) und Wettersteinkalk (nördlich, zum Einschnitt bis in das Kar vor dem Hinteren Drachenkopf hinab reichend) die vertikal verläuft und eine markante Linie darstellt.
Ein weiterer geologischer Einschub am Drachenkopfgrat befindet sich in der tiefsten Einschartung vor dem nördlich gelegenen Hinteren Drachenkopf und zwar tritt hier dunkelgrauer Partnachkalk deutlich sichtbar zutage (Bild davor).
Bei der Annäherung an die vermutete Aufstiegswand trat die Route eindeutig hervor und beide interpretierten wir denselben – aus unserer Sicht einzig gangbaren – Verlauf durch die Wand. Die Route führt am Wandfuß einige Meter weg vom Sattel nach Westen, bevor eine leichte Muldung in der Wand mit gut überkletterbaren Felsstufen, recht festem und gutgriffigem Wettersteinkalk erreicht und direkt in Falllinie ansteigender Kletterei bewältigt werden muß.
Zur besseren Übersicht der Bilder blieb der Verfasser noch vom Wandfuß weg, während Simon über ein leicht steigendes Band zum Aufstiegspunkt der Kletterei anstieg.
Die Stufe dürfte etwa 30 bis 40 Hm umfassen, wird oben flacher und dadurch mit mehr Schutt überdeckt. Sie endet mit einer Flachstelle auf einem kleinen Teilgrat zum Wandmassiv hin und ist umgeben von eindrucksvoll zerklüfteten Türmchen und vielen kleinen Schuttreisen, sowie mit einem massiv sperrenden Felsriegel in Gratrichtung.
Dem Felsriegel wichen wir auf einer Art Rampe, die oben in eine zu überkletternde Felsstufe übergeht rechts ansteigend aus womit wir – optisch begleitet durch das Eintauchen in Sonnenlicht – den Grat erreichten und die dunkle Nordflanke des Westgrates auf den Grünstein verließen.
Die nette Kletterei durch die Flanke mißt etwa 60 Hm und der Höhenunterschied zum Grünstein Gipfel beträgt am Grat noch etwa 50 Hm, die allerdings mit etwas Auf und Ab am Grat etwa 100 Hm Aufstieg bedeuten. Der Abstand am Grat dürfte zwischen 220 m und 250 m betragen und wir waren einigermaßen erstaunt über die Nähe des Gipfelkreuzes.
Am Grat besticht die Aussicht nach Norden und in die Tiefe mit ihrem Farbunterschied zwischen dem hellen Wettersteinkalk und den grauen Reiflinger Knollenalken. Im Norden erheben sich majestätisch die Östliche Marienbergspitze und der Wamperte Schrofen, der so häufig falsch geschrieben wird, wenn man des Tiroler Dialektes nicht mächtig ist. Wampert ist man dann, wenn man eine Wampe hat, also einen dicken Bauch.
Der Grat führt zunächst steil nach oben auf einen Vorkopf, der – wie könnte es am Grat anders sein – auf seiner Rückseite einen Abstieg in die nächste Scharte aufweist. Und der Abstieg jenseits ist der Kniffligste im Übergang zum Grünstein. Knifflig hinsichtlich der Steilheit und dem Übertritt auf einen Klemmblock, der den jenseitigen Aufstieg auf den nächsten Gratabschnitt ermöglicht.
Ihn unten zu umgehen wäre möglich, jedoch bergsteigerisch verfehlt. Im festen Fels gewinnt man schnell Vertrauen in den kurzen steilen Abstieg und erfreut sich des Blickes auf die lange Wettersteinmauer im Norden durch die enge Scharte.
Ein paar Meter des Aufstieges hinter der Südkante der folgenden Gratschuppe reicht der Blick auf den ersten der vier Riffeln, die nicht nur das Riffeltal bezeichnen und bereits von Locherboden aus sichtbar sind, sondern auch ganz nett zu begehen sind.
Eine derartige Erscheinung kennt man im Karwendel von den Gratköpfen am Grat von der Scharte zwischen den Bachofenspitzen auf die hintere der beiden.
Den ersten, so heißt es im AV-Führer, umgeht man nordseitig. Auch wenn man mit der Vorstellung an nordseitige Verhältnisse seine natürliche Hemmung hat ist diese Umgehung eine der Harmlosesten weit und breit.
Der Überstieg vollzieht sich auf einem breiten, eher flachen Band mit, jenseitig, einem kleinen „Dach über dem Kopf“ und gleich darauf einem Felsenfenster mit Blick ins Gurgeltal. Der Westlichste der Riffeln – ein einmaliger Ort.
Der Zweite der Riffeln folgt sogleich. Im Abstand von wenigen Metern erhebt sich der nächste Felskopf, der dann, wie alle übrigen, unspektakulär südseitig umgangen wird. Der Überstieg auf den zweiten Riffel findet auf einer schmalen Felsmauer mit aufregendem Tiefblick in die schauerliche Grünstein Nordwand statt und aufgrund der Schmalheit der Mauer bleibt die Spannung auf wenigen Schritten bis zum Riffel erhalten.
Seine leicht überhängende Form und das schmale Band bedingen am zweiten Riffel ein wenig Artistik, jedoch ist die Passage gut machbar. Alternativ kann er ein paar Meter darunter umgangen werden.
Hinter dem zweiten Riffel und noch vor der nächsten leichten Passage der beiden letzten Riffeln gibt es unter einem kurzen Aufstieg nochmals ein bäriges Felsenfenster in den Norden, das man nicht versäumen sollte zu erkunden.
Die Passage der folgenden Riffelzähne erfolgt harmlos an ihrem Fuße. Der letzte Aufschwung auf den Gipfelaufbau des Grünsteins führt – wenig ansteigend – an einer bemerkenswerten Scharte mit gewaltigem Ausblick auf die Ehrwalder Sonnenspitze vorbei.
Nach diesem tollen Ausblick führt der Aufstieg steiler weiter und mündet knapp unterhalb des Gipfels in den Normalweg auf den Grünstein über das Riffeltal und in wenigen Minuten wird der Gipfel über die letzten brüchigen Felsabsätze erreicht.
Immer wieder erstaunt am Grünstein das völlig intakte Gipfelkreuz von 1967. Einzig der wetterseitige Metallschutz am Hirnholz gibt Anlass zur Sorge, daß es rascher Schaden erleiden könnte als nötig.
Imposant anzusehen ist der Drachenkopfgrat, der gen Norden zieht und mit ein wenig Phantasie kann man den Rücken und einen gewaltigen Kopf eines Drachens erkennen und der Grat wären dessen Rückenschilde. Der Begriff Drache leitet sich allerdings nicht von deutschen Wort, sondern vom slawischen „draga“ ab, welche „eine durch Abrutschung entstandene Mulde am Hang“ bezeichnet (FINSTERWALDER 1951, S. 185).
Richtung Osten entsendet die Mieminger Kette vier Nordgrate, die jeweils mit einer massiven Einschartung zur Hauptkette gekennzeichnet sind.
Der erste und kürzeste trägt die Drachenköpfe, der zweite die Tajaköpfe, ein Kar weiter befindet sich ein Nordgrat, der seine Einschartung nicht direkt an der Nordwand hat, sondern erst nach einer signifikanten Gratstrecke und der die Igelsköpfe trägt und der letzte Nordgrat, mit einem massiven und hohen Gipfel geschmückt, dem Breitenkopf, verläßt dieser die Mieminger Kette vom Hochplattig nach Norden. Der durchaus imposante Breitenkopf ist in fünf Kilometer Entfernung noch vor der mächtigen Nordflanke der Mitterspitzen sichtbar.
Letzterer stellt den höchsten aller Gipfel der Nordgrate dar dürfte aufgrund seiner kurzen, eher abfälligen Beschreibung im AV-Führer nicht häufig begangen werden. Vom Grünstein aus sehen seine Flanken nicht uninteressant aus und damit wurde er für eine Erkundung ins Auge gefasst.
Seine Besteigung über das Igelskar und der Begrenzung durch die mächtigen Hochplattiggipfel ist dieselbe wert. Die kurze, scharfe Gratstrecke bildet einen begehenswerten Abschluß und mit dem Abstieg ins Schwarzbachkar kann der Routinierte mit Orientierungsgabe eine bärige Runde im Gaistal von der Leutasch aus abschließen.
Nach Süden werden in der Mieminger Kette kaum scharfe Grate entsendet. Direkt an den Grünstein schließt mit seichter Scharte am Hölltörl der Höllkopf an, der den höchsten Abschluß des langen Südrückens des Arzbergs darstellt. Das Hölltörl stellt auch die Grenze zwischen dem gipfelbildenden Wettersteinkalk und dem Hauptdolomit des Arzbergs dar.
Den Abstieg unternahmen wir durch das Riffeltal, um über die Schotterreisen rasch abfahren zu können. Der Normalaufstieg auf den Grünstein findet großteils auf der – im Abstieg gesehen – linken Rippe vom Riffeltal statt.
Zum Abschluß, und mit genügend Zeitreserve des eher kurzen Abenteuers der Besteigung des Grünsteins über den Westgrat ausgestattet, unternahmen wir die Erkundung des Arzbergs.
Vom Hölltörl sind dabei lediglich 70 Hm zu überwinden, bevor man auf dem Plateau dieses regionaltouristisch höchst wichtigem Gipfelchen steht, stellt es doch den Höhepunkt der Wanderrunde zwischen den beiden parallellaufenden Marienberg- und Lehnbergtal dar. Dementsprechend vielen Wanderern begegneten wir dort.
Die Besucherströme beschränken sich jedoch ausschließlich auf den Höllkopf und versiegen einige Meter hinter dem Gipfelkreuz, von dem es, nach Süden, keinen im Kartenwerk verzeichneten Weg mehr gibt. Im AV-Kartenwerk finden sich Steigspuren bis hinab zur Arzbergmahd und diese wollten wir, nach teilweiser Einsicht vom Grünstein aus, im Abstieg erkunden.
Zusammenfassend kann vorweggenommen werden, daß dieser Bergbuckel, nach einigen kurzen und sanften Gegenanstiegen auf Zäunl- und Hoher-Kopf tatsächlich freigeschnitten an der Arzbergmahd endet. Dort endet auch der sichtbare Steig und einen weiteren Abstieg durch den Wald konnten wir nach kurzer Suche nicht finden, vermuten ihn aber Richtung Ostnordost, zum Ende eines Fahrweges mitten im Lehnbergtal, von dem ein Anstieg kaum 150 Hm und nur 700 m Strecke zur Mahd beträgt.
So ließen wir die Schafe, die unter einer freistehenden Tanne Schutz vor der Sonnenbestrahlung suchten, zurück und stiegen an der Stirnseite des Rückens weglos durch den Wald ab. Den Weg zum Parkplatz erreichten wir an der Abzweigung nach Weisland etwa 300m vor dem Ende des Waldes bei Arzkasten.
Die wirklich schöne Besteigung des Grünsteins über den Westgrat erfordert etwa 7:30 Stunden (bei unserer Abstiegsvariante, sonst ggf. eine gute halbe Stunde weniger) und erstreckt sich über gut 12 km. Bei unserer Abstiegsvariante werden 1.700 Hm zurückgelegt, sonst gut 100 Hm weniger.
Mils, 15.08.2021