Das Halltal im Frühsommer 2012

Liebe Halltalfans,

wenn man dieser Tage auf verschiedenen Pfaden dem Talende zustrebt, dann fällt einem auf, daß sehr viel weniger Wanderer, Bergsteiger und Erholungssuchende anzutreffen sind als in allen Jahren zuvor.
Man trifft stets die hartgesottenen, eingefleischten einheimischen “Halltaler” und weit weniger zufällige Pilger oder Interessierte an dieser einzigartigen Naturkulisse.

Möglicherweise ist auch der Anteil an Bikern – ich meine hier nicht die propagierte E-Bikerschaft – die sich auf der teilweise leeren Straße hinaufquälen nicht abgesunken, aber ganz sicher auch nicht angestiegen ist. Die E-Biker, die es in dieser kapazitätsraubenden Gegend (noch) gar nicht gibt und deren Aufenthalt im Halltal, aus heutiger Sicht, für die Zukunft höchst fraglich ist, werden hier nicht angesprochen.

Ob die anzutreffenden Naturbegeisterten glücklicher sind als vor der Depression der Straßensperrung ist mir nicht klar. Ich, als einer jener der seit Jahren das Halltal sehr ausgiebig besucht – oder nutzt – bin es jedenfalls ganz und gar nicht.
Hat man sich vom Verkehr auf der früher mehr befahrenen Halltalstraße belästigter gefühlt als jetzt in der neuen Situation? Es ist nicht leicht zu glauben daß es so ist, denn es wird wahrscheinlich niemanden unter den Besuchern dieses Kleinodes geben, der sich stundenlang auf der Straße aufgehalten hat und dem der Ärger über die schätzungsweise hundert Fahrzeuge, die durchschnittlich am guten Wochenende im Halltal gefahren sind, hochgestiegen ist.
Nimmt man den Durchschnitt dieser geschätzten hundert Fahrzeuge über fünf Stunden der Anreise, sagen wir von 9 Uhr vormittags bis 14 Uhr, dann fährt jede 3. Minute ein Fahrzeug den Berg hinauf. Das wäre zugegeben durchaus störender Verkehr in der Natur.
Wie oft jedoch hat eine solche Frequenz wirklich stattgefunden? Hat man eine solche Lawine als Kenner dieser Gegend in Erinnerung? Ich behaupte, daß eine solche Situation an maximal 10 Tagen im Jahr -bzw. in der Saison –  zugetroffen haben kann (abgesehen von den wenigen, viel umworbenen Veranstaltungen). Wahrscheinlich waren es durch die gesamte Saison hindurch keine 50 Fahrzeuge täglich an den Wochenenden. Geschweige denn unter der Woche. Ich kann mich seit 2005 jedenfalls an keinen Verkehrsinfarkt im Halltal erinnern.

 

Schätze im Halltal

Die gesellschaftliche Situation jedoch, die ein primärer Faktor für die Belebtheit (Beliebtheit?) einer Region oder eines Landstriches ist, hat sich allerdings in diesen wenigen Wochen seit der Amputation der Halltalstraße von der Bevölkerung schon grundlegend geändert.
Das kann man jetzt schon mit dem sensiblen Blick des Kenners der Gegend ganz deutlich erkennen.
Hier und dort holt sich die Natur schon Raum zurück; Pfade werden enger, Wellen im nicht befahrenen Asphalt deuten auf beginnenden Verfall hin und die beharrliche Weigerung den  Fluchtsteig herzurichten (Anm.: was nun ab 17.7. endlich in Angriff genommen wurde) deutet auch auf den gesellschaftlichen Rückzug der Verantwortlichen aus der Region hin.

Frauenschuh im Halltal

 

Weit schlimmer und ausgeprägter ist aber, nach Beobachtung des Kenners der Gegend, momentan, die Erstauswirkung dieser weitreichenden und schlecht überlegten Entscheidung aus Menschenhand: die Gastwirtschaft im Halltal leidet den schnellsten und intensivsten Aderlaß wahrscheinlich seit der kommerziellen Erstnutzung der Gegend seit hunderten von Jahren.
Es ist schlicht und einfach “nichts mehr los” in den wenigen Labestationen oben und unten im Tale und man fühlt auf leeren Bänken deutlich mit den angestrengten Unternehmern. Der Niedergang ist angelaufen und es ist eine Frage kurzer Zeit, bis das Angebot tot sein wird. Ob St. Magdalena weiterleben wird ist sehr fraglich.

Nun könne man meinen, daß die Entwicklung für das Wohle der Natur ja eine paradisische sei, denn in der heutigen Welt klänge es wie ein Märchen aus dem “Gutenachtgeschichten-Buch” von Greenpeace, wenn sich irgendwo in diesen Tagen,  inmitten der Zivilisation,  die Natur wieder vollständig und ungehindert ausbreiten könne und alle schädlichen Bemühungen des Menschen zurückgenommen werden.
Weit gefehlt meine ich, denn diese Landschaft besitzt die Eigenschaft, daß sie nicht wieder – ungestraft für ihren Eroberer – in die Freiheit entlassen werden kann, zu viel ist hier in über 700 Jahren kultiviert und verändert worden, als daß es möglich wäre, das Tal sich jähe selbst zu überlassen und ohne frühere oder spätere Folgen, für jenen der eng am Fuße dieses Tales siedelt, befürchten zu müssen.
Gleichzeitig jedoch ist mit steigender Tendenz zu beobachten, daß die mögliche Belastung der angestammten Kapazitäten der Landschaft durch extremer werdende Wettersituationen überschritten wird und es zu häufigeren Kollapsen kommt als es durch viele Dekaden hindurch beobachtet werden konnte. Auch dies hat zweifelsfrei schädliche finanzielle Auswirkungen die nicht negiert werden dürfen. Nutznießende Kommunen, ja mit Sicherheit das Land als Ganzes, hätte jetzt hier eher einzuschießen woran es sich viele Jahrhunderte lang laben konnte als sich mit Almosen davon zu stehlen. So sollte die moralische Verpflichtung aus vergangenen Zeiten lauten und die Politik hätte die Fahne dieses Legates voran zu tragen.

Daß die Befahrbarkeit erhalten bleiben muß ist klar, es gibt eindeutige wirtschaftliche Aufträge die im hintersten Tal zu erfüllen sind. Umso logischer ist es, daß eine Möglichkeit geschaffen werden muß, die individuelle Befahrbarkeit auch für die Masse zu erhalten und die Aktivitäten im Tal und über seine Jöcher hinaus zu fördern. Seien es rein gastwirtschaftliche, landwirtschaftliche oder sportliche Aktivitäten. Zusperren und abtrennen ist der falsche Weg.

Warnung vor Torheit!

 

Aus touristischem Blickwinkel betrachtet muß man sich die Frage stellen, ob der Slogan auf der Regions-Homepage “Den Bergsommer entdecken & genießen” nur für die besten Wanderer und Bergsteiger gewählt wurde und vor allem die Gäste vorgenannter Region, von denen die Wenigsten diesen Gruppen zuzuzählen sind, nicht ein klein wenig von einer Mitgliedsgemeinde der Region gefoppt werden indem man ihnen den Zugang zum Bergsommer jäh abschneidet. Sehen sie sich doch spätestens beim Hackl einer neuen Situation ausgeliefert derer sie nicht Herr werden, wissen sie doch über die verbal und medial gestreuten Aufforderungen ein Taxi zu rufen in keinster Weise Bescheid (abgesehen davon, daß Touristen immer und überall auf der Welt die Telefonnummern der örtlichen Taxiunternehmen parat haben und selbstverständlich annehmen, daß man bei Fahrverbot im Heiligen Land einfach eines rufen muß).

auf 2.200m im Juni

 

Zurück zum Anwohner dieser herrlichen Gegend, der die neu verordneten Gepflogenheiten gleichsam einer Befehlsausgabe mühsam über allerlei Tageszeitungen und Gemeindeblätter erfahren muß: er ist zumindest aufgrund des Rummels durch vorgenannte Informationsquellen alarmiert, daß in seiner Heimat etwas nicht mehr stimmt. Daß man über ihn hinweg apodiktisch Tatsachen schafft die ihn beschneiden, die ihn kränken und die, hoffentlich, das Tirolerherz schneller schlagen und nicht mehr los  lassen werden.

Er erhält als Entschädigung für die Zwangs-Amputation einen wunderschönen Parkplatz den er nicht angefordert hat und der seine Lebensqualität nicht fördert. Er erhält am Zugang zu seinem Lokalparadies ein Denkmal, eine Brücke, die jetzt schon einen unvergeßlichen Spitznamen trägt, die “Golden-Gate-Bridge” und damit ihre Proponenten hochleben läßt. Oder zumindest die Absicht jener zum Ausdruck bringt?

Der Anwohner wird also nunmehr aufgefordert vor seinem Paradies zu parken und wird, je nach Leistungsfähigkeit seiner Gruppe eines oder mehrere seiner Ziele erreichen, oder auch nicht. Das erste Ziel einer Durchschnittsfamilie wäre ein ehemaliges Kloster, das sich, wie den Kundigen der Region Hall-Wattens gut bekannt ist, ja fast auf den Meter genau 500 Höhenmeter höher befindet, das Talende mit den Herrenhäusern gar 800 Höhenmeter. Man darf nun seiner Phantasie freien Lauf lassen welche Durchschnittsfamilie diese Herausforderung meistern wird. Ist es jene mit zwei Kindern unter zehn Jahren und sportlichen Eltern in den frühen Dreißigern die die Kinder eher früher als später am Weg dorthin schultern werden , oder jene mit Kindern als Teens mit denen deren Eltern immer noch mithalten können und mit Oma und Opa  knapp vor den Siebzigern die umdrehen, oder gibt es gar eine Idealfamilie in der niemand die Schwäche zeigt, den  Aufstieg der gesamten Strecke zu verweigern.
Aus den Erfahrungen meiner Bergsteiger- und Familienvaterpraxis bezweifle ich, daß von zehn der genannten Personengruppen mehr als fünf den Aufstieg in der Weise bewältigen, daß er als ein gelungener Wochenendausflug in bleibender Erinnerung abgespeichert wird. Wahrscheinlich schaffen aber vielleicht sogar dreiviertel aller genannten Gruppen den Aufstieg, jedoch wird er in einer Weise dem Unterbewußtsein übergeben, um in die Schublade: zu anstrengend, mühsam, zu lange- abgelegt zu werden und somit zum Garant für die Ausklammerung einer Wiederholung zu erhärten. Die Zukunft wird es weisen, aber es ist unvorstellbar und mit bloßen Auge in diesen drei Monaten Saison bereits sichtbar, das Halltal wird einen drastischen Besucherrückgang erleiden.
Dazu können die fünfundzwanzig schneeweißen Benze mit edlem Design, dem glänzenden Schwaben-Stern und dem gelbschwarzen Kästchen auf überspannender Dachreling leider nichts positives beitragen, auch wenn es am Saisonsende vielleicht achtundachtzig davon waren (Anm.: und allemal Vorsicht: ist bei Regen ist die Rückfahrt nicht gesichert?).

Darf dieser kritische Versuch nun in der Hoffnung geschlossen werden , daß es auf die Frage: Halltal: quo vadis- eine positive Antwort geben wird, oder ist das Schicksal dieser geschichts- und kulturträchtigen Landschaft durch seine demokratisch ernannten Beherrschenden bereits mit dem Daumen nach unten besiegelt worden; malte uns schon jemand derer im stillen Dunkel des Winters in der Gemeindestube das Joch “Oh’ du wildes Halltal, R.I.P” ?

Gipfelkreuz Großer Lafatscher, Juli 2012

 

Mils, im Juli 2012
Rainer Antretter

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