Angesichts des nun schon seit Wochen anhaltend schlechten Wetters bleibt einem Bergbegeisterten nicht viel anderes übrig, als sich an alternativen Aufgaben zu versuchen, was ich mit dem Artikel Erstersteigung Großer Bettelwurf – Hermann von Barth unternehmen möchte. Während ich diese Zeilen niederschreibe prasselt der Regen vor meinem Fenster in Mils auf die Landschaft nieder.
Ja, ich kokettierte heute damit meine Leserschaft auch einmal mit der Geschichte der Ersteigung der „Riesen hinter’m Haus“ zu konfrontieren und wage dies nun, großteils unter Zuhilfenahme einer alpingeschichtlich hochwertigen Webseite von Herrn Ulrich Kretschmer aus München die ich schon vor Jahren im Internet gefunden habe, sehr hervorragend finde und die sich weit mehr Besucher erfreuen sollen dürfe, als es der Besucherzähler momentan verrät.
Nun, Hermann von Barth ist den meisten Bergfreunden bekannt, hat er doch beispielweise im Sommer das Jahres 1870 nicht weniger als 88 Gipfel im Karwendel bestiegen, 12 davon als Erstbesteiger. Der gebürtige Oberbayer aus dem Tölzer Land ist der Erschließer, Entdecker und Ersteiger des Karwendels schlechthin und für weitere Details empfehle ich seinen Namen in Wikipedia einzugeben, da muß ich mich hier nicht hervortun.
Als Sohn aus begütertem Hause mit fundierter Ausbildung als Jurist und dann als Naturwissenschaftler hatte er auch kaum Druck für sein täglich Brot sorgen zu müssen uns so konnte er seinem Drang nach den Gipfeln der nördlichen Kalkalpen recht freien Lauf lassen und sich der Bergsteigerei widmen und tat dies mit dem durchaus wissenschaftlichem Hintergrund der Erschließung, wie man in den Schriften seines Werkes „Aus den Nördlichen Kalkalpen“ mit der schriftlichen Niederlegung der „Recognoscirungen“ (Erkundungen) lesen kann.
Bei seinen Ersteigungen kann es auch dann und wann zu direktem Kontakt mit der tiroler Bevölkerung und weiter unten möchte ich seine Beschreibung des skurrilen Treffen und die daraus gezogenen Schlüsse zur Aufheiterung dieses Artikel wiedergeben.
Zunächst aber zum Hauptteil dieses Artikels, der Erstersteigung Großer Bettelwurf.
wie eingangs erwähnt entnehme ich Zitate und Textstellen aus der Webseite von Herrn Kretschmer, die unter folgender Internetadresse zu finden sind: http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/
Bei den nachfolgenden, aus dieser Seite entnommenen Textstellen füge ich die Quellenbezeichnung als Internetadresse an. Hier die Inhaltsübersicht:
Am 13. Juni 1870 reiste Hermann von Barth – vermutlich mit der damals jüngst erbauten Eisenbahn nach Hall an (auch in den Berichten der Wilden Bande ist von der Localbahn die Rede, die die Mitglieder auf dem Rückweg von deren jährlichem Gründungsfest am Stempeljoch von Hall nach Innsbruck genommen haben; die Eisenbahn war damals also das Reisemittel).
Von Hall zu Fuß bis zu seinem Domizil – den Herrenhäusern – beeindruckte ihn die Landschaft nach der Einmündung ins Halltal und er beschreibt sie wortgewaltig, ähnlich wie man schmale, steile Tallandschaften unter der Stimmung eines herannahenden Gewitters empfindet. Ab diesem Kapitel „Das Haller Salzthal [1870]“ beginnt die äußerst empfehlenswerte Beschreibung seiner Erlebnisse und ich lege euch, liebe Leser, diesen Einstieg ans Herz http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz.html
Angekommen an seinem Ziel beschreibt er die Aufnahme als Gast bei den Knappen in den Herrenhäusern und sein Interesse für die handgefertigten Zeichnungen von der, das Bergwerk, umgebenden Landschaft, worin er aber grobe Widersprüche bzw. Ungenauigkeiten sieht.
Er übernachtete mit zeitiger Bettruhe und machte sich, wie auch so oft in den Berichten über die Wilde Bande zu lesender Tageszeit, um knapp vor vier Uhr auf seine erste Tour; es waren dies die Gipfel rund um das Bachofenkar, die er in einer Gewaltstour an einem Tag erledigt (ich habe sie schon mehrmals unter Auslassung des Großen Lafatscher, den er fälschlich den Westlichen Lafatscher nennt, selber ausgeführt und kann seine Leistung daher gut einschätzen).
In diesem Kapitel „Die Herrenhäuser“ wird es geschichtlich interessant, taucht doch erstmals die von ihm irrtümlich angenommene falsche Bezeichnung „Speckkar-Gebirge“ auf, wobei es sich hier um den Zug von der Speckkarspitze bis zum Großen Bettelwurf handelt. Beim Bettelwurf, den Barth als solchen zu erkennen glaubt, muß es sich, nach reiflicher Überlegung was man denn von dem von ihm beschriebenen …eisernen Balcone des 1. Stockes gegen Osten… aus überhaupt sehen kann, um die Winklerspitze, bzw. Hüttenspitze handeln.
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_herrenhaeuser.html:
…Eine eigenthümliche Felsgestaltung zeigt sich, nahe dem Fusse des Gebirges, an diesem Wandmassive; ein ziemlich voluminöser, scharf ausgespitzter Zacken hat sich vom Bergkörper völlig losgerissen und eine breite, beiderseits von senkrechter Mauer eingefasste Kluft gegen jenen gebildet; ein steiles Schuttfeld erfüllt diese Tiefe, welche im Hallthale unter dem Namen Bettelwurf bekannt ist…
Wer sich die Beschreibung derselben durchliest und den Blick, den er nach Osten beschreibt, kennt, kann nur zu diesem Schluß kommen.
Möglicherweise war diese Verwechslung auch wieder einmal eine von jenen Geschichten, die beim Befragen der ortsansässigen Bevölkerung entstanden ist. Man kann sich das gut so vorstellen, daß Hermann von Barth nach dem Bettelwurf fragt und jemand deutet ungenau mit dem Finger auf die Hüttenspitze, die er mit seiner Akribie natürlich dann falsch zuordnet. Für die Mehrzahl der Bewohner waren zu diesen Zeiten der Menschheitsgeschichte die Namen der Berge völlig uninteressant und sie sind, ob großteils mangelhafter Kenntnis darüber, sicher teilweise auch falsch zugeordnet worden, bzw. hat es sicher nur in Kreisen, die beruflich mit der Bergwelt zu tun gehabt haben (Bergleute, Jäger, Vermesser), Kenner der Detailnamen der Berge gegeben und für die – zumeist – Bauern in der Bevölkerung waren die Bezeichnungen eher einerlei. Ich könnte mir sonst die so grundfalsche Zuordnung nicht erklären, handelt es sich doch beim Bettelwurf um den auch vom Tal aus sichtbaren höchsten Gipfel im gesamten Gebirgszug.
Am darauffolgenden Tag, es muß der 14. Juni 1870 gewesen sein, wollte Hermann von Barth sein Hauptvorhaben, den Großen Bettelwurf (in einen Schriften immer der Große Speckkarspitz) erst zu ersteigen umsetzen und beschreibt im Kapitel () zunächst den aufstieg auf den Östlichen Lafatscher (der echten Speckkarspitze). Er verließ die Herrenhäuser um 4:45 Uhr und erreichte den Gipfel um 8:25. Hier möchte ich erklärend einfügen, daß die rund 1.100Hm von den Herrenhäusern auf den Gipfel in normalerweise 1 ½ bis 2 Stunden leicht zu bewältigen sind. Barth hatte 3 ½ Stunden gebraucht. Man muß sich hierzu vorstellen, daß der Aufstieg vom Lafatscher Joch bis zum Gipfel in keiner Weise markiert war und er natürlich auch nicht den direkten Gratsteig sofrot gefunden haben kann, immer den leitenden Gipfel vor Augen. Wer den Aufstieg kennt, der weiß, daß man zuerst den Vorsprung auf knapp halber Höhe erreichen muß bevor man den ausgeprägten Grat vor sich hat. Die Karte mit den von ihm eingezeichneten Aufstiegsrouten (ich weise später darauf hin) zeigt auch, daß er eher die südlichen Hänge genommen haben muß, bis er auf den Grat gekommen ist. Auf diesen sieht man den Gipfel auch nicht oft und ist gezwungen Varianten zu suchen.
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_lafatscher.html
Soweit vom Joche aus der Blick reichte, zeigte die Westkante meines Gipfels sich gut gangbar; doch hatte der gestrige Tag mich belehrt, dass sie in etwa der Mitte ihrer Erhebung eine glattwandige, ziemlich hohe Abstufung berge, deren Umgehung, und zwar der in der Karwendel-Gruppe geltenden Regel zufolge gegen Süden, als unmittelbar geboten erschien. Ich lenkte daher auf der Jochhöhe alsbald vom gebahnten Wege ab und liess den Scheitel des wasserscheidenden Bergrückens zur Linken; immer darauf bedacht, in thunlichst hoher Zone mich zuhalten, und nicht weiter, als der beabsichtigten Umgehung halber erforderlich, in die tief zerfurchte Südflanke der Pyramide mich zu verlieren.
Er ahnte damals noch nicht, daß er die Ersteigung der Speckkarspitze hätte vermeiden können, denn das was ihn nun nach dem Gipfel erwartete war auf das Wort hin exakt das gleiche das Manuel und ich, beim ersten Versuch der Überschreitung zum Kleinen Bettelwurf hin, erlebt haben. Eine echte Tragödie! Wer den Blick von der Speckkarspitze in Richtung Kleiner Bettelwurf hin kennt der muß beim Lesen der folgenden Textpassage schmunzeln, denn wenn man nicht ganz heroben am Grat sofort auf die nördliche Gratseite wechselt und die ersten schräg und überhängenden Rippen so umgeht (vgl. Artikel „Speckkarspitze, Gratüberschreitung Großer Bettelwurf“ http://spitzentreffen.at/speckkarspitze-gratuberschreitung-zum-groser-bettelwurf ), der endet im Desaster, das Barth so beschreibt:
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_lafatscher-abstieg.html
in östlicher Richtung ging’s vom Gipfel hinunter dem ersten Schuttbecken des Grossen Speckkars entgegen; der Gestalt meines Gipfels zufolge erwartete ich nach dieser Seite hin wenig Schwierigkeiten, zum mindestens keine bedeutenderen, als der Anstieg sie mir geboten. Ich fand mich abermals getäuscht; die Schneide des Hauprgrates war bei aller sanften Neigung ihrer Schärfe und sägenartigen Zerschartung wegen nicht zur verfolgen, und einmal in die südöstliche Flanke der Pyramide abgewichen, wurde ich durch seitliche, unübersteigbare Mauerschranken immer weiter abwärts gedrängt, in plattigen, steilein Rinnen mit schwachen und sehr unzuverlässigen Stufen kletterte ich langsam und mit Mühe hinab, oft minutenlang nach einem folgenden Tritte spähend und erst nach mehrfachen Versuchen endlich wieder einige Zolle Terrain gewinnend. Als schliesslich die Ausmündung des Felsgrabens gegen das Grosse Speckkar erreicht war, befand ich mich bereits so tief, dass eine Umgehung der nächstfolgenden schroffen Abdämmungen der Geröllmulden nur in grösserer Tiefe mehr möglich war. Ohne langes Besinnen fuhr ich das nächste Schneefeld hinab, sprang im losen Geschütte rasch zu Thal, querte Sandreissen und Schneelehnen, wandte mich auf schmalen Grasbändern um steil absetzende Mauerstufen; neue Kessel thaten vor mir sich auf, der Kleine Speckkarspitz, allen weiteren Ausblick verdeckend, war wieder in Sicht getreten, an seinem westlichen Fusse berühren die plattigen, schuttbedeckten Hänge auf weite Strecken hin den Hauptgrat. Tief unten führte mein Weg durch den hügeligen Kesselboden, theils durch Trümmerbecken, theils über wellige Grasplätze,…
Auch ihm sind somit die tückischen schrägen Rippen zum Verhängnis geworden und er mußte bis ins große Speckkar absteigen, wahrscheinlich nahezu bis dorthin wo heutzutage der Weg zur Bettelwurfhütte ist, den und auch die Hütte es ja bei ihm noch lange nicht gegeben hat.
Was nun folgt ist wiederum eine logische Folge der Aussicht vom Gelände in dem Barth sich befand. Man kann von keinem der Speckkare (kleines und großes) aus den Großen Bettelwurf nicht sehen, nicht einmal den westlichen Gipfel des Kleinen Bettelwurfes. Der Grund dafür ist einfach, man ist zu tief und selbst wenn man einen der vielen kleinen, nicht sehr ausgeprägten Kämme am Weg in Richtung Bettelwurfhütte an deren südlichstem Punkt erreicht, reicht das noch nicht, um einen Gipfelblick zu erheischen. Sehr wahrscheinlich ging er sogar bis weiter östlich der heutigen Bettelwurfhütte. Darauf deuten seine Worte hin, daß er sich im „kahlen Geplätt“ eines Zwischenkammes mit nur äußerster Kraftanstrengung bis zu bewachsenen Plätzen emporarbeiten konnte. Dies muß der trennende Abbruch der Speckkare und dem Südausläufer des kleinen Bettelwurf gewesen sein, mehr oder weniger weit oberhalb der heutigen Bettelwurfhütte.
Barth hatte also den Überblick verloren, beschreibt die ärgerliche Situation im Kapitel „Am Fusse des Kleinen Speckkarspitzes; Anblick des Grossen“ und beschließt umzudrehen.
Hierbei durchlief er noch das Abenteuer des Abstieges durch die Latschen über die Platten, ein Abenteuer das wir auch schon durchmachen mußten und das man nicht wieder vergißt:
Text aus: http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_umkehr.html
…je tiefer ich aber kam, um so seltener boten sich die freien Plätze, immer dichter tauchte ich in’s Krummholz ein, und versank endlich in ein Meer undurchdringlichen Gefilzes, in welchem ich nur in seltenen Zwischenpausen den Kopf aus der glühend heissen, mit betäubendem Harzdufte geschwängerten Atmosphäre über die Spitzen der Nadelholzzweige zu erheben vermochte und dann im weitergedehnte Felder der schwarz-grünen Dickungen überblickte. Als es mir endlich gelungen war, zur Sohle des vereinigten Felsgrabens hinabzudringen, hemmten jeden Augenblick seine Plattenabschüsse den Hinunterweg, drängten mich zurück in die dichtbestockte Bergflanke und hier gerieth ich zuletzt an den Rand der riesigen Platten, welche in breiten, abgeschliffenen Tafeln, in einer allseitigen Ausdehnung von mehreren hundert Schritten mit 40-45º Neigung zu Thal fallen…
Eine literarische Sonderleistung diese Beschreibung, man kann sich die Situation in den heißen und klebenden harzigen Latschen lebhaft vorstellen, man genieße diese Texte!
Schlußendlich hat er es geschafft die Halltalstraße zu erreichen und zieht hinauf zu seinem Domizil, den Herrenhäusern, wobei er noch einen Abstecher zu einem Berater in St. Magdalena macht.
Franz Posch heißt der Mann, er ist Jagdaufseher und Barth beschreibt ihn in seiner unverwechselbar charakterisierenden Art als einen „rüstigen, ziemlich intelligent aussehenden Mann…der vom Gipfel ziemlich genaue Kenntnis“ hatte und mit dem er die Besteigung wagen wollte. Die kirchlichen Pflichten am nächsten Tag (Fronleichnam) ließen den Traum jedoch zerplatzen und Barth kehrte voller Ungeduld es am Fronleichnamstag alleine probieren zu wollen zu den Herrenhäusern zurück.
Am 16. Juni 1870 um 4 Uhr begann nun der erfolgreiche Tag.
Barth änderte seine Route und mied, nach den leidvollen Erfahrungen des großen Höhenverlustes nach der Gipfelersteigung der Speckkarspitze und verfolgte einen Pfad der ziemlich genau jenem entspricht wie er heute als Verbindung Lafatscher Joch bis Bettelwurfhütte angelegt ist.
Allerdings, und das muß man erwähnen, riet ihm Posch offenbar die Ecke, die der Normalweg auf das Joch und dann scharf rechts, also östlich weiter, beschreibt, abzukürzen und über die Latschen, nahe der hohen Wand, den Scheitelpunkt der hohen Wand zu suchen, über den kein Weg vorbeiführt. Er mußte diesen oben überqueren, es gibt keine andere Möglichkeit. Diese Mühen beschreibt er im Kapitel „Zweiter Irrgang im Krummholz“.
Nun war es leicht den richtigen Pfad zu finden, denn er wußte vom Vortag, daß es hinter der trennenden Rippe (hinter der die heutige Bettelwurfhütte steht) noch einmal in ein großes Kargebilde hineinging, das durchwandert werden mußte. Diese Passagen beschreibt er im Kapitel „Vom Grossen in das Kleine Speckkar“, wobei er natürlich fälschlicherweise vom kleinen Speckkar sprach, das ja westlicher davon liegt (siehe heutige Karte, es handelt sich um das karartige Gelände im heutigen Normalweg auf die Bettwelwurfhütte).
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_speckkar.html
Dem östliche Abschlusse des Kares*) nahe gekommen, sah ich mich nach der Wendung und die erste vortretende Bergecke in einer von zackigem Gemäuer geschlossenen, steilgehobenen, grünen Sinke. Links abschwenkend strebte ich auf der vorgezeichneten Bahn geradenwegs dem ersten Höhenziele zu.
Nun war er also auf der Rippe die oben im heute so bezeichneten Eisengatterergrat endet und hat somit einen Meilenstein in der Ersteigung erreicht. Er sieht das Bettelkar östlich von sich und beschreibt den jenseitigen Grat von der großen Wechselspitze bis zum Ostgipfel des Großen Bettwelwurf im Kapitel „Auf den Scheiderücken gegen das Bettelkar“.
Nun beschreibt er zunächst den Aufstieg in der Rinne des Eisengatterergrates und mittendrin dürfte er plötzlich in die unverwechselbaren und charakteristischen „mannshohen Stufen“, die geröllbedeckt waren wie er schreibt (und auch heute noch sind, wir kennen sie gut), abgewichen sein. Ein für mich nicht notwendiger Schritt, denn die Furche des Grates ist eigentlich die logische und sehr weit sichtbare Normalroute die jeder Bergsteiger wählen würde. Möglicherweise sah er sich durch den Schnee eines starken winters genötigt seitlich, vorwiegend links also bergseitig, auszuweichen, anders ist mir diese Taktik nicht erklärbar. Andererseits erwähnt er lobend die Hilfe des Schnees und ich weiß was er damit meint, denn der kleinstückige Schutt abseits der Gratrinne ist dort tückisch und rutschend bei Belastung.
Im letzten Viertel des Anstieges durch die Rinne ändert sich die Topographie leicht nach links, nordwestlich und diese Wendung dürfte der Grund sein warum er im Kapitel „Grat und Gipfel [der Großen Speckkarspitze]“ schreibt, daß er westlich stieg. Dies ist aber ein Trugschluß, denn der Grat zieht sich nordöstlich hin, nur oben eben wendet er leicht nach Nordwest und das ist auch die Höhe, ab der man wieder den Kleinen Bettelwurf (für Barth die „westliche Speckkar-Kuppe“)sehen kann und die Tiefe der Aufstiegsrinne zurücktritt.
Allerdings dürfte er dann wirklich etwas sehr weit westlich gekommen sein, denn beim heutigen Anstieg ist die beschriebene Situation der Topographieänderung dermaßen nahe am Grat, daß man einen Umweg scharf westlich nicht machen würde. Die blumige Beschreibung des Gratverlaufes bis zum Gipfelpunkt deutet jedoch auf eine Ankunftsposition am Grat hin, die weiter westlich vom Gipfel sein müßte als die heutige:
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_grosser_speckkarspitz_gipfel.html
Und nun in eilenden Sprüngen die ostwärts noch steigende Schneide hinan, ihre Blöcke, ihre Thürmchen und Klippen übersetzend, erklimmend, auf engen Galerieen umgehend, – in sicherer Balance aufgewehte Schneefirste überschreitend –jetzt oben! ……. nein, noch eine Strecke verwitterter Zacken, abgerissener, geborstener Schrofen, gesprengter Treppenabsätze– will etwa der widerhaarige Geselle auch jetzt noch gegen das aufgezwungene Joch sich sperren? – Vergebens, unter den unerbittlichen, kreitschenden Einstossen der Eisenklauen sinken seine morschen Bollwerke eins nach dem anderen zurück in die Tiefe – ist das wohl endlich dein letztes, Unbezwinglicher?– Die rissige Klippe hinauf – ja, es ist’s.
Nun, wie dem auch gewesen sein mag, er hatte den Gipfel erreicht und ich empfehle die weiteren Kapitel mit der Errichtung eines Steinmannes und des Abstieges mit der stolzen Präsentation seiner Trophäe an den Franz Posch zu lesen.
Wenn man in dieser Gegend nahezu jeden Stein kennt und sehr treffenden, exakten Schilderungen Barth’s liest, dann kann man sich gut die Taktik und den Routenverlauf vorstellen. Ich hoffe, ich konnte mit den Kommentaren und Bildern dem nicht so ortskundigen diese Lektüre auf diese Weise etwas mehr verständlich machen.
Wenn wir uns heute auf diesen Pfaden bewegen, dann ist es für uns selbstverständlich, daß er auf dem direktesten Weg zum Ziel führt und das ist auch so. Wer oft selber Pfade sucht (im Karwendel muß man das durchaus im weglosen höher gelegenen Gelände, das nicht mehr häufig begangen wird, selber tun, ein auf und ab im Pilgerschrittverfahren) der versteht die alpinistische Leistung Barth’s bei dieser Ersteigung. Das Kartenwerk, damals entstanden vom Blickwinkel des Tales aus, an dem man wahrscheinlich am Bergstandort ständig zweifeln mußte, hat sicher auch die eine oder andere missweisende Richtung in seiner Routenwahl hervorgerufen und die Qualität sowie das Gewicht der Ausrüstung der damaligen Zeit in Betracht gezogen, muß man nochmals mehr die Leistung Hermann von Barth’s würdigen.
Weiter mit einem Auszug seiner Erzählungen gehen wir mit einer Begegnung mit einem Hirten in den Almwiesen der Höttinger Alm, anläßlich seiner Ersteigung des Höttinger Solsteines, der heutigen Vorderen Brandjochspitze, dem knappen Dialog und dem Eindruck, den der Hirte als Stellvertreter der Tiroler Bevölkerung bei Barth hinterlassen hat. Man genieße die unverkennbare Barth’sche Ausdrucksweise:
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_hohes_brandjoch_hoettinger_schaeferhuette.html
Einige Minuten später trat ich auf die abschüssige Wiesenterrasse hinaus, deren äusserster Vorsprung die Schäferhütte trägt; ein kümmerliches, kaum mannshohes, etwa 12′ [4 m] im Geviert haltendes Bauwerk. Der verwildert aussehende Hirt begegnete mir, seinen Schafen nachspürend, bereits am Saume der Kluft. Ich richtete einige Fragen an ihn bezüglich der nächstgelegenen Berggipfel und erhielt, wie zu erwarten stand, nur höchst mangelhafte Auskunft; ich deutete endlich auf den Gipfel des Höttinger Solsteins, der mächtig gross im Nordwesten sich emporbaut, fragte nach dessen Ersteigung und bekam zur Antwort „da kommt man gar nicht hinauf …… dahinter steht noch ein höherer“ …… damit verabschiedete sich der Sohn der Berge. Die plumpen Klötze, die vom Brandjoch-Grat auf mich niederschauten, mutheten mich vertrauter an, als er.
Abschließen möchte ich mit noch einer kleinen Auflockerung und zwar mit Barth’s Einschätzung der optimalen Nächtigungssituation bei Touren mit gesteigerten Gehzeiten und Höhendifferenzen. Sein bergsteigerischer Wunschtraum zerschellt jäh am bornierten Einheimischen:
Text aus http://www.bergruf.de/alpinhistorie/barth/kalkalpen/karwendel_hohes_brandjoch_hoettinger_alpen.html
Die Bergtouren, welche vom Innthale aus auf die Gipfel der Kalkketten unternommen werden, leiden an dem grossen Uebelstande einer unverhältnissmäßig tiefen Lage ihres Ausgangspunktes (Innsbruck 1796′ 583 m. Trinker.). Nach zwei Stunden angestrengten Bergmarsches befindet sich der Wanderer auf der Höttinger Alpe (4707′ 1529 m. Trinker), in einer Höhe erst, von welcher aus unter gewöhnlichen Umständen die Gipfelersteigung schon angetreten zu werden pflegt. Es wäre daher sowohl mit Rücksicht auf die relative Höhe, wie auf die topographische Situation der Höttinger Alpe für manche Hochtour im Innsbrucker Gebirge sehr wünschenswerth, auf ihr Nachtquartier zu beziehen; der mehr als tirolerische Schmutz und der ungastliche Charakter ihrer halbwilden Bewohner jedoch, der nur durch reichliche Branntweinspende zu besänftigen sein soll, lässt ein solches Vorhaben als nicht wohl ausführbar erscheinen. Es wird daher ein künftiger Besucher jener Gebirge besser daran thun, sich für diese Excursionstage eine etwas stärkere Anstrengung zuzumuthen, meinem Beispiele und dem eben beschriebene Wege folgend, der bei der Tour des 31. Mai allerdings nicht der meinige war.
Das Buch „Aus den Nördlichen Kalkalpen“ kann man um rund €50.- bis €60.- (gebraucht/neu) im Handel erwerben, oder bei mir ausleihen.
Mils, 30.05.2013
Danke, Rainer, tolle Geschichte, auch für Sonnentage
Christian, danke. Feedback ehrt mich immer. Ja, mich hat das Interesse gepackt die Anfänge etwas mehr zu erfahren und Schlüsse zur Neuzeit zu ziehen. Die Berichte der Pioniere sind in vielerlei Hinsicht interessant, sie sind literarisch wortgewaltig, bergsteigerisch exakt und zeitgeschichtlich aufschlußreich. Balsam für den Geist in unseren Tagen.
Hallo, der Erstbesteiger des Großen Bettelwurf war nicht Hermann von Barth, sondern sein Namensvetter Ludwig Barth zu Barthenau!
lg
Liebe Elisabeth,
ich danke für deinen Hinweis, der mir während des Studiums des Buchs „Aus den Nördlichen Kalkalpen“ von Hermann von Barth auf den Fußnoten der Seiten 319/320 nicht verborgen geblieben ist, daß selbigem von seinem Freund, Ludwig Barth zu Barthenau erzählt wurde, daß jener als Gymnasiast „unter Führung eines Wildschützen persönlich den Grossen Speckkarspitz betreten habe.“ (gemeint im Buch ist natürlich der Gr. Bettelwurf, den Hermann von Barth falsch beschrieben bekam). Weiters habe ich in dieser Sache das Internet auf den Kopf gestellt und keinen weiteren Hinweis über die Erstbesteigung durch Ludwig Barth zu Barthenau gefunden. Ich gebe allerdings zu, daß ich keine Bibliotheksrecherche unternommen habe.
Nun, was sollen wir davon halten, wenn ein Gymnasiast „unter Führung eines Wildschützen“ eine Erstbesteigung Jahre später erzählt, der ich nicht unterstelle, daß sie nicht echt wäre. Wer ist aber nun der Erstersteiger wirklich? Der Wildschütz, der wahrscheinlich schon vorher alleine den Weg gefunden hat, daß er sich also daraufhin zutraut den jungen Hochwohlgeboren des hohen Landesbeamten hinauf zu führen? Oder vielleicht beide – Ludwig Barth zu Barthenau und der Wildschütz gleichzeitig durch beider Herren gleichzeitige Erstbegehung?
Die Frage ist genauso schwierig zu beantworten wie die Frage nach dem Erstersteiger des Everest ohne Sauerstoff. War es Franz Oppurg, der als erster „ohne“ oben war oder doch die Expeditionschefs Habeler/Messner, die nachfolgten?
Die einzigen Aussagen über die Erstbesteigung des Großen Bettelwurfs durch Ludwig Barth zu Barthenau stammen paradoxerweise aus Hermann von Barths eigener Feder von der ich fest überzeugt bin, daß sie wahrheitsgetreu wiedergibt was ihm sein Freund mitteilte, so wie der Kodex damals lautete, als man Ehrenmann war.
Beschrieben wurde die Besteigung im Detail erstmals von Hermann von Barth und dieses belegbare Zeugnis ist der Grund, daß man ihm die Erstersteigung zuerkennt. Möglicherweise ist die Tatsache, daß ein (damals) tirolischer Erstersteiger opportun gegenüber einem bayrischen ist Leitbild für die mehrfache Nennung Ludwig Barth zu Barthenaus als Erstersteiger im Internet. Aber welcher der tirolischen Männer war es dann? Der Wildschütz kann nicht totgeschwiegen werden, auch wenn die damaligen Zeiten die einfachen Leute völlig ignoriert haben.
Mit herzlichem Berg Heil!
Rainer