Zu Beginn im südlichen und längsten Kamms, dem Wettersteinkamm liegt der Hochwanner, etwas östlich des Gatterls, als höchste Erhebung im Kamm. Seine Besteigung am Normalanstieg ist einfach und über einen großen Anteil an Schuttmassen mühselig, dafür entschädigt der Blick auf das Zugspitzmassiv und seine gewaltige Nordwand.
Eine einzige kurze Passage durch eine Aufstiegsmulde über vielleicht 25 bis 30 Hm am Weg in die weite lange karartige Zunge auf den Gipfel erzwingt den Einsatz der Hände und somit einen Ansatz von Kletterei. Am weiteren Aufstieg begegnet man kaum einem richtigen Kletterzug und setzt den Aufstieg bis zum Gipfel mit Stöcken fort – der Hochwanner, im Südanstieg im Großen und Ganzen eine leichte Bergwanderung und am Normalweg kein herausforderndes Ziel.
Die Südseite ist durch eine einzige, sich nach oben hin trichterförmig erweiternde Verwitterungsfläche bis nahe unter den Gipfelbereich geprägt, übersät mit kleinstückigem Bruchgut, das, allgegenwärtig abgelagert und in schier unendlichen Massen vorhanden, für mühsam begehbare Felsflächen sorgt, und die in solch gewaltiger Höhenerstreckung in den Nördlichen Kalkalpen ihres Gleichen sucht.
Rostrot ihr Anblick, beginnend im Trichteransatz bis weit in die Gipfelflanke hinauf, viele Hundert Höhenmeter im Schutt lassen den erfahrenen Bergsteiger im Kalkgestein bereits nach dem kurzen Durchstieg durch den einzigen Felsriegel nach dem abgerundeten Südgrat die monotone Steigarbeit im Schutt erahnen. Und dennoch beeindruckt die Felsgestalt vom Wettersteinkalkfuß aus irgendwie.
Bei zweifelhaftem Wetter, im Wissen einer sicheren Begehung, beginnt die Reise, die eher eine Trainingsrunde als eine Bergfahrt darstellt, im Gaistal, am letzten Parkplatz Salzbach.
Zunächst führt der breite Ludwig Ganghofer Weg, der auch als Radlstrecke genutzt wird und damit dem Heimatdichter Gedankengut durch diese schreckliche Moderne im Gebirge wenig Ehr‘ erweist, hinauf in Richtung Hämmermoosalm, auf satte Almböden mit breiter Ausdehnung nach Überwindung des ersten Buckels bis zu dessen flachen Ende.
Nicht in direkter Linie zur Alm, sondern eher westlich an ihr vorbei, also sie rechts liegen gelassen, steigt man, um den frequentierten Ganghoferweg direkt pfadlos zu verlassen, über Wiesen zum Weg in das kurze steile Tal an dessen Hochalm die verfallene Rotmoosalm noch von einstigem Glanz kündet. Die neue Rotmoosalm befindet sich ungewöhnlich weit davon entfernt und dürfte ihren neuen Standplatz wahrscheinlich wegen der Lawine zu verdanken haben, die 2009 die alte Rotmoosalm zerstört hat und deren Reste noch sichtbar sind.
Wer über eine ältere AV-Karte verfügt wird mit einer vorerst eklatant schmerzhaften Disharmonie seines geografischen Eindrucks aus der Tourvorbereitung mit Karte im Kopf gegenüber der Realität des wahren Standortes der Gebäude im Gelände kämpfen, zu dem im Kartenwerk der 90er Jahre kein Weg vorhanden war – auch eine Erkenntnis die man nicht missen muß.
Am Hüttchen am Schotterweg zweigt westlich der Steig zum Verbindungsrücken zwischen der Hauptkette und dem vorgelagerten Predigtstein ab und führt über eine, gegen das Mitterjöchl hin, breiter werdende Einlagerung von Mergelstein aus der Kreidezeit durch das Kotbachkar. Beeindruckend steil stehen die regelmäßigen Plattenkalkwände des Predigtsteins aus den Kreidemergeln heraus und schließen dieselben zwischen ihnen und ihrer geologisch zeitverwandten Gegenseite, den nordseitigen Wänden des Hochwannermassivs, ein. Völlig begrünt, lediglich durch den Steig zerschnitten liegen die gut 100 Mio. Jahre jüngeren kreidezeitlichen Gesteine eingekeilt zwischen den triassischen steilen Felsen.
Der Predigtstein zieht den Betrachter zunächst wegen seiner schier technisch aufgestellten Kalkplatten in den Bann, seine Aufstiegsroute wird aber nicht weiter in Augenschein genommen.
Das Kotbachkar wird zwischen und unterhalb der Hangschuttreisen mit etwas Höhenverlust in westlicher Richtung gegen das Mitterjöchl hin durchquert. Wer den Umweg aus dem Tiefsten der gekrümmten Murenrinne vor dem Mitterjöchl nicht mitmachen will, der folgt direkt im ausgetrockneten Wasserlauf einige Höhenmeter bis zu einer schon von weitem auffälligen Querrippe, die am mittig am Südausläufer des zum Mitterjöchl hin abfallenden Grates vom Hochwannerkar ansetzt und steil und geschwungen zur Murenrinne hin abfällt und steigt über diese bereits fast bis zur Hälfte des Grates auf.
Dabei wird man von Vegetation und geologischen Entdeckungen nicht enttäuscht und kann direkt am leichten steilen Grat hinansteigen, um den Umweg zum Mitterjöchl zu umgehen.
Über den restlichen Grat, der durch seine monotone Steigung und Ebenflächigkeit geprägt ist, wird die nächste Stufe erreicht, ein letzter Rest eines Muschelkalkriegels, der im östlichen und westlichen Teil des Hochwannermassivs mächtiger ausgeprägt ist und an seiner – sozusagen – schwächsten Stelle einen begehbaren Durchlass zum Kar bildet. Zu beiden Seiten des Steigs kann man die steilen und kompakten Wände, die Muschelkalk bildet, einsehen.
Dennoch bietet der Anstieg ins Kar, oberhalb des Endes der Südrippe kreidezeitlichen Ursprungs, eine mit etwa 30Hm kurze und leichte Klettersequenz, die den Einsatz der Hände bedarf.
Ein steiler Riegel muß durch eine unten schmale, oben breit werdende Mulde erklommen werden. Das Gelände ist weder ausgesetzt noch bietet der Durchstieg Schwierigkeiten, nach einigen Metern Kletterei im unteren Teil kann er aufrecht begangen werden.
Oberhalb des Durchstiegs wendet sich die Route rechts, nordöstlich, dem langen und auffällig rostrot gefärbten Kar zu und spätestens mit diesem Anblick liegt klar auf der Hand, daß der Aufstieg ein mühsamer sein wird, der durchgehend mit viel rutschigen Flächen durch den Schutt gekennzeichnet sein würde.
Bereits am Weg in die weite Mulde fällt der hohe Anteil an Verwitterungsflächen mit ihrer typischen Färbung und Geröllbedeckung ins Auge. Besonders stark ausgeprägte Verwitterungsflächen bestehen rechts des Kartiefsten in der Flanke auf den schmalen Vorkopf, der durch einen kurzen Grat mit dem Hochwanner verbunden ist. In diesem Hang stellt man auch die schlechtesten Steigbedingungen fest.
Ab dem kurzen Gratstück zum Massiv des Hochwanners und der Überwindung der ausgeprägtesten Verwitterungszone trifft man zwar auf die Flanke mit festem Wettersteinkalk, die gesamte Flanke ist jedoch bis knapp unter den Gipfel beeindruckend vollflächig mit Schotter überzogen, der den nicht markierten Steig teilweise unkenntlich überschüttet und zum Abweichen zwingt. Selbst im Karwendel findet man kaum feste Felsoberflächen, die unter dermaßen großen Massen von Schutt liegen. Beeindruckend und mühsam zu begehen.
Im obersten Teil, etwa 100 m unterhalb des Gipfels beginnend, tritt strukturierteres Gelände mit aufragenden Felsbänken zutage, an denen feste Flächen für angenehmeres Steigen zum Gipfel sorgen. Gesamt gesehen bleibt jedoch der Aufstieg auf den Hochwanner kein genussvolles Aufstiegserlebnis.
Dem verzinkten Stahlgipfelkreuz aus den frühen 80er Jahren sieht man den architektonischen Stil seiner Schöpfungszeit an, nicht jedoch den Trotz gegen die Wettergewalten.
Die zu tief angeordnete Gipfelbuchschachtel enthält ein Gipfelbuch, das aus Unkenntnis des Zwecks durch viele Nichtalpinisten unter seinen Beschreibern in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Leider klarte der Himmel nicht genügend auf, sodaß einer der Zwecke der Besteigung, den Teufelsgrat zu „recognosciren“ nicht, bzw. kaum durchgeführt werden konnte. Hartnäckige Nebelbänke hielten sich, immer wieder von den Südhängen der Bergkette aufsteigend, zäh um den Gratbereich herum, sodaß eine weitgehende Inaugenscheinnahme unterblieb.
Der Blick auf das Zugspitzmassiv war uns in der halbstündigen Gipfelrast ebenso wenig beschieden wie auf den nördlich gegenüberliegenden Blasengrat.
Die südliche Gegenseite, die Mieminger Kette, war am Hochwanner gar nicht sichtbar, erst beim Abstieg zeichnete sich der Übergang der Niederen Munde ab, die Gipfel jedoch blieben weiterhin verhüllt.
Einzig die gewaltige Nordwand mit ihrem plattigen Abbruch unter dem Gipfelbereich konnten wir bis zum Reintal hinab ohne Nebel einsehen. Mit 1.400 m Wandhöhe eine der gewaltigsten Nordwände in den Kalkalpen in der die zahlreiche Bergerlebnisse und Tragödien abgespielt haben, eine schier unglaubliche und niedergeschriebene ist in einem Buch von Ludwig Grammiger1, einem Münchener Bergrettungspionier zu lesen.
Trotz des mäßigen Wetters erfreute sich der Hochwanner an diesem Tag reger Beliebtheit, was sich auch in der offenen Gipfelbuchschachtel niederschlug. Durch häufigen Zugriff und der gutgemeinten aber falschen Höflichkeit den Deckel offen zu lassen, damit sich andere eintragen können, sind schon viele Gipfelbücher dem Schimmel geweiht worden. Dies war am Hochwanner nicht der Fall, die Befürchtung besteht aber auf jedem Gipfel, daß der letzte vergisst den Deckel zu schließen.
Der Abstieg hat seine Tücken im rolligen Schutt am Weg und auf den Felsflächen, wenig erfreuend muß mit Bedacht abgestiegen werden und wo möglich benutzten wir Reisen zum Abfahren. Im Bereich des Durchstiegs hat man einen umfassenden Blick über die begrünten Flächen, deren Gesteine der Kreidezeit zuzuordnen sind, und mit dem Blick zum Predigtstein fällt die eingezwängte Lagerung dieser Schichten gut ins Auge.
Der Predigtstein besteht aus festem Plattenkalk, der, wie eingangs berichtet, tektonisch beeindruckend durch fast senkrecht gestellte Einzelplatten die am Grat herrlich unterschiedlich gebrochen die einzelne glatte Fläche erkennen lassen.
Möglicherweise wäre der Anstieg über seinen Nordwestgrat schöner gewesen als über den Normalweg in der Verschneidung.
Knapp 20 min werden für den Anstieg vom Sattel bis zum benötigt. Kurze Passagen unter Einsatz der Hände sonst im angenehmen Gehgelände und durch die Platten gut gestuft steigt man die 140 Hm hinauf zum Gipfel des Predigtsteins auf 2.234 m.
Der Predigtstein besticht weniger durch seine Besteigung, er besticht durch seine zentrale Lage im Tal mit einen tollen Blick auf die nördlich gelegenen Hauptgipfel im Wettersteinhauptkamm, auf das Gaistal im Südwesten sowie auf die Mieminger Kette gegenüber und die Leutasch.
Deutlich ist der unter dem Wettersteinkalk liegende Streifen von Muschelkalk oberhalb den Schuttreisen zu erkennen. Auf ihm fußen die Wände des Hochwanners.
Den Abstieg vom Predigtstein wählten wir über seine Ostseite, die, etwas tiefer, wieder in den Aufstieg von der Rotmoosalm einbindet. Von dort treten die Kalkplatten des Predigtsteins sehr deutlich ins Auge.
Wir entschieden den kurzen Aufstieg auf dem Almweg zur neuen Rotmoosalm zu nehmen, um aus der Tour eine schöne Runde über Sulzlehen hinab zur Hämmermoosalm zu formen.
Außerdem war eine Einkehr auf der Rotmoosalm wünschenswert, da sich das Wetter mittlerweile freundlicher entwickelte und ein verspätetes Mittagessen eingenommen werden sollte.
Der Anstieg dorthin beträgt 150 Hm und 1,5 km Gehstrecke und er lohnt sich nicht nur wegen der Einkehr, sondern auch wegen der hervorragenden Aussicht am Vorsprung des Schönbergs, auf dem die Rotmoosalm neu errichtet wurde.
Der Abstieg erfolgt anfänglich über Fleckenmergel der Allgäuschichten mit reicher Vegetation und grandioser Landschaft. Der Steig liegt an einigen Quellen, sodaß längere Strecken durch Letten zu begehen sind, bevor der Bach im Tal erreicht wird. Über die Ostseite des Tals führt der Steig an der im Tal gegenüberliegenden Hämmermoosalm um den Rücken herum zum Parkplatz Salzbach zurück.
Die Rundtour führt auf eine Strecke von etwa 19 km über 1.886m Hm Anstieg und Abstieg, gesamt – mit allen Pausen haben wir 8:20 Stunden benötigt. Die reine Gehzeit liegt etwa bei 7:15 Stunden. Den Hochwanner selbst erreicht man ab Gaistal Salzbach in 9,1 km über 1.580 m in 4:00 Stunden.
Mils, 12.07.2020
1 Ludwig Gramminger: Das gerettete Leben. Aus der Geschichte der Bergrettung – Einsätze, Entwicklungen, Ausbildung, Episoden…ISBN:9783763370054
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