Dieser Karwendelklassiker wird vorzugsweise im Frühjahr unternommen und die eher anspruchsvolle Tour auf die Birkkarspitze stellt schon fast mehr als nur einen Hauch von Triathlon dar. Einzig die Schwimmdistanz entfällt, dafür bietet die Tour mehr oder weniger Tragestrecke.
Bei meiner Begehung war eigentlich die gesamte Reibn geplant, jedoch ließen das – im Alleingang und an einem sehr einstrahlungsreichen Tag nach einer grenzwertig genügend klaren Nacht mit Regen noch am späten Abend – die Schneeverhältnisse nicht mehr eindeutig zu. Also wurde das Vorhaben mit der Ersteigung der Birkkarspitze abgeschlossen und auf die nächste Saison verlegt. Man muß umdrehen können.
Leicht spät, knapp nach halb sechs mit dem Radl (kein Stromradl!) in Scharnitz gestartet war ich eh schon unter den letzten Triathleten im Aufbruch. Ein netter Kollege aus Bayern wechselte mir den unglaublich großen Zwanziger, nachdem ich wegen des ausspuckenden Parkautomaten festgestellt habe, daß man mir tags zuvor als Münze keinen Zweier herausgegeben hatte, sondern eine osteuropäische Münze, täuschend ähnlich dem Zweier, jedoch um einen knappen Millimeter kleiner im Durchmesser.
Solche Momente braucht man um diese Tageszeit eher nicht – ein schieres Wunder, daß ich den Mann noch gerade neben mir sein Radl bepacken sah. Leider war er schnell dahin und aufgrund meines Radldepots war ich sicher weit mehr als eine Stunde später am Gipfel. Ich konnte ihm dort leider keinen Schnaps mehr anbieten aber meist trifft man sich ja im Leben zweimal.
Nun, die Radlstrecke zu beschreiben ist hier nicht besonders ergiebig für den Interessenten an diesem Bericht. Jener, der diese Tour oder die Reibn machen will weiß darum, daß ab dem Parkplatz bei der Brücke in Scharnitz bis zur Wildfütterung gute 10km und gut 300Hm (für die gesamte Reibn) und bis zum Wasserwerk unterhalb des Karwendelhauses knapp 15km und 600Hm (für nur die Birkkarspitze) damit zurückgelegt werden müssen.
Nachdem ich die Reibn geplant hatte war mein Radldepot auch klar an der Wildfütterung fixiert. Dies ist der Punkt an dem man aus dem Neunerkar herunter ankommt und die Ausfahrt aus dem Tal wieder mit dem Radl antritt. Also war meine Tragestrecke nicht für die Birkkarspitze bemessen und um gut 4,5km länger (bis zum Wasserwerk) als geplant.
Beachtlich ist die Zeit, die für die Bewältigung der Tragestrecke von der Wildfütterung bis zum Wasserwerk benötigt. Ich habe (mit Tourenschuhen) für die 4,6km und 300Hm gut ein einviertel Stunden dafür benötigt die man, mit nur dem Ziel der Birkkarspitze allein, mit dem Radl als Tragestrecke vermeiden kann.
Am Wasserwerk angelangt mußte ich feststellen, daß die jüngsten Berichte über die Reibn nicht gelogen hatten und weit und breit keine größere Schneefläche durch den Schlauchkargraben hinaufzog.
Also bleib ich zunächst recht weit unten und erklomm dann nach und nach die steile schrofendurchzogene Wiesenflanke so, daß der Kontakt mit nassen Latschen ein Minimum betrug (die Tourenhose mußte nach dieser Tour trotzdem in die Waschmaschine).
Mit Schi am Rucksack und Tourenschuhen ein echtes Abenteuer die Flanke bis hinauf zur Wasserleitung.
Die Wasserfassung am Ansatz des Schlauchkares nach einer dreiviertel Stunde erreicht, dürften endlich die Schi vom Rucksack und der Beginn der eigentlichen Schitour brachte somit eine deutliche Erleichterung für die Schultern. Dies nach noch einem Kilometer und wieder 300Hm Tragestrecke (ab der Wildfütterung somit 5,6km und 600Hm Tragestrecke).
Keineswegs verzagt ob der langen Anreise trat ich nun bei mittlerweile unerwartet gutem Wetter in die Schitour ein.
Das Schlauchkar gibt sein Dimensionen erst nach und nach im Aufstieg preis und wer es nicht kennt ist nach Überwindung der ersten Steilstufe durchaus beeindruckt über die Dimensionen nach dieser Stufe und den steiler werdenen Flanken bis zum dann gut sichtbaren und gut über 700Hm entfernten Gipfelkreuz der Birkkarspitze. Alleine das Kar ist die Reise wert.
Frohen Mutes betrat ich nach der Wasserfassung die ab dort geschlossene unnachgiebige Schneedecke. Sie war um halb neun vormittags vollkommen hart gefroren, eigentlich weit härter als ich das nach der mittelmäßigen Nacht erwartet hätte.
Kaum eine Kantenspur verblieb nach einem Schritt in der bockharten Oberfläche und so folgte ich wegen fehlender Spuren nicht dem Herdentrieb und der Spuren der Bergsteiger vor mir, sondern kreuzte deren hauchfeine Kantenabdrücke im rhythmischen Spitzkehrentakt, der so oft im Winter für die einzige Abwechslung im Trott des Aufstieges sorgt.
Selbst eine Stunde später um halb zehn, als der logische Aufstieg den mittig im Kar liegenden Felsriegel zu dessen Linken leitete war noch kaum Erweichung der Schneedecke spürbar. Das Kar liegt recht lange am Vormittag im Mai im sehr flachen Sonnenwinkel, wodurch dieser nicht unangenehme Aufstieg möglich ist – allerdings mit Harscheisen.
Harscheisen sind nach dieser Passage (ca. auf 2.500m) in jedem Fall nötig, denn die Hangneigung des Kares erreicht dann zwischen 35 und 40°, an Stellen, laut Tiris über 40°.
Das obere Schlauchkar wird im steilen Aufstieg westlich durchquert und ich entschied mich für die weite Querung bis zum Schlauchkarsattel, weil ich ja die Reibn als Ziel hatte.
Je näher ich dem Grat kam desto weicher wurde der Schnee und zwar drastisch.
Die Spuren am Sattel in Richtung Östliche Ödkarspitze waren in der Schneeoberfläche am Grat bereits recht aufgearbeitet, ein Zeichen, daß mehrere Tage keine Begehung mehr stattgefunden hat. Der markante Felskopf am Grat war bereits großflächig ausgeapert.
Mit diesen nicht so guten Aussichten wendete ich mich dem Grat zur Birkkarhütte zu, um den Gipfel zu ersteigen.
Natürlich habe auch ich das angekettete Kinderradl fotografiert und einen Blick in den mäßig aber doch verschmutzten Unterstand geworfen.
Der Aufstieg zum Gipfel war großteils in aperem Gelände möglich. Der Vortagsregen hinterließ einige leicht angeschneite und in der Sonnenbestrahlung tauende Passagen. In den Winkeln manche Stellen noch winterlich schneegefüllt, aber alles in allem der Aufstieg – sowie das gesamte Gipfelplateau – ziemlich aper.
Der Blick rundum vom Gipfel erstaunte schon ein bisschen. Mit Mitte Mai waren selbst Grate, Kare und Hänge mit weit über 2.000m Erhebung bereits fast vollständig ausgeapert.
Die Erklärung liefert eine aufschlussreiche Grafik des Tiroler Lawinenwarndienstes, die in der zweiten Hälfte April veröffentlicht wurde und zeigt, daß durch den geringen bis fehlenden Neuschneezuwachs ab Mitte Februar mit den darauf folgenden warmen Wochen (die warmen Wochen zeigt die Grafik nur indirekt, aber man weiß, daß es so war, wenn man an den extrem warmen April zurückdenkt) der Schneedecke einen fast jähen Tod beschieden hatte. Die Grafik gilt generell nur für Obergurgl, sie ist übergeordnet jedoch mit Sicherheit für das gesamte Bundesland bezeichnend. Dabei stellt die rosa Ganglinie die heurige Aufzeichnung dar, die graue die Mittelung der Messwerte seit 1961 und der graue Bereich die gesamten Messwerte in jedem Aufzeichnungsjahr.
Deutlich kann der raschen Rückgang der Schneehöhe ab Ende März bis Mitte April erkannt werden, ein kontinuierlicher Absturz, ohne Neuschneezuwachs, wesentlich steiler als die gemittelte graue Kurve.
Im Kopf trägt man die Frühjahrsverhältnisse jedoch anders, vor allem dann, wenn man sich nebenbei auch noch mit seiner Arbeit und anderen Dingen beschäftigen muß und so kommt man heuer für manches Vorhaben, das geplant gewesen wäre, leider einig Wochen zu spät. Höchstwahrscheinlich bin ich nicht der einzige mit dieser Erkenntnis.
Der Ausblick entschädigte die triste Situation mit den noch verbleibenden Möglichkeiten doch sehr und dafür keimte auch die Hoffnung einer rasch beginnenden Bergsaison in dem so sonnig begonnen Jahr.
Die Kaltwasserkarspitze mit noch wenig Restschnee sah aus, als wenn sie schon als Bergtour zu erreichen wäre und im fernen Hintergrund der Grat der Grubenkarspitze völlig schneefrei.
Im Westen der Grat über die Ödkarspitzen, der den schwierigeren Teil der Reibn darstellt auch an vielen Stellen bereits schneefrei und mit den Tourenschuhen kein besonderes Vergnügen mehr und im Hintergrund die Nordöstlich ausgerichtete Flanke aus dem Marxenkar zur Großen Seekarspitze allerdings noch voll eingeschneit. Dort drüben wäre die Reibn noch einwandfrei im Schnee machbar.
Die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens gut zu erkennen im Blick nach Nordwesten über das Karwendeltal hinaus, über das Bäralpl in die Soierngruppe.
Gen Süden, über das Lafatscher Joch zu den Tuxern noch hohe Restbewölkung sichtbar. Interessant hier, selbst die fast völlig sonnengeschützten Kare und Schuttböden über den höchsten Erhebungen des Gleirschkammes kaum mehr mit nennenswert Schnee belegt – ein Zeichen für das warme Frühjahr.
Nach dem Abstieg von der Birkkarspitze zum Schlauchkarsattel ein letztes Innehalten, ob ich denn die Tour doch fortsetzen solle. Aber allein die lange Felsstrecke mit Tourenschuhen bestätigte meine eigentlich schon getroffene Entscheidung der Umkehr.
Einigermaßen betroffen rüstete ich zur Abfahrt. Verblüffend wieder der extreme Wechsel der Schneekonsistenz vom Grat, in dem der Schnee mittlerweile – es war mittags geworden – völlig aufgefirnt und schmierig war und knappe 50Hm tiefer im nordseitig ausgerichteten Schlauchkar immer noch eine bockharte Piste.
Allemal ein Vergnügen war die Abfahrt etwas weiter unten mit abnehmender Hangneigung und – für das Auffirnen – besserem Sonneneinstrahlungswinkel.
Nach einer tollen Abfahrt erreichte ich die Wasserfassung wieder und hatte nun die Aussicht auf knappe sechs Kilometer Tragestrecke bis zur Wildfütterung. Das war sozusagen die Belohnung für den Abbruch der Karwendelreibn.
Nun, angesichts der Temperaturen und den klobigen Tourenschuhen war diese Strecke sicher kein wiederholenswertes Vergnügen, aber so schlimm waren die gut eineinhalb Stunden auch wieder nicht. So mancher phantastischer Blick entschädigte.
Abgestiegen bin ich diesmal direkt über den Steig neben der Wasserleitung bis knapp oberhalb des Wasserwerkes und dann dem breiten Weg folgend bis zum Hauptweg zum Karwendelhaus sowie diesem dann gut vier Kilometer folgend zum Radldepot.
Nach zeitraubendem Umziehen und Beladen des Radls ging es die gut 10km in angenehmem Tempo talauswärs zum Parpklatz, den ich gegen 15 Uhr erreichte und eine sagenhaft schöne Tour endete.
Zusammengefasst: 2x10km Radlstrecke, Aufstieg ohne Radl 1.460m, Gesamtaufstieg ab Parkplatz 1.770m, gesamter Zeitbedarf knapp neuneinhalb Stunden.
Die Gesamtzeit kann noch signifikant verkürzt werden bei der Anfahrt mit dem Radl bis zum Wasserwerk, was jedoch – wie erwähnt – nicht mein Ziel war.
Mils, 11.05.2018