Im nordwestlichen Zipfel der Heimat, nahe dem Ammersattel im Bezirk Reutte, gibt es eine phantastische Schitour in den nördlichen Kalkalpen, die Schitour Westlicher Geierkopf in der Kreuzspitzgruppe, ein Nordanstieg durch archaische Landschaft mit rassigem Verlauf zum Grat vor dem Gipfel.
Nach einer Erklärung dieses Ziel aus dem Raum Innsbruck anzufahren muß nicht lange gesucht werden – das Wetter, oder besser die Wettervorhersage tags zuvor – bescheinigt bei einer Südwestströmung dem Außerfern tagsüber brauchbar sonniges Wetter, während in den Zentralalpen bereits am Morgen Bewölkung mit Schauern zu erwarten ist.
Eine solche Perspektive richtet den Fokus auf eine Tour im wetterbegünstigten Gebiet, auch wenn dazu für den geographisch verwöhnten Bergsteiger aus dem mittleren Inntal eine nicht unbeträchtliche Fahrzeit mit dem Auto in Kauf genommen werden muß.
Zeitig in der Früh benötigt man für die 106km über Garmisch kaum 90min und über den Fernpaß 115km und etwa 100min; die Wahl der Anreise-Route ist also durch die Fahrzeit klar vorgegeben und führt kurz nach Ettal, mit der sehenswerten barocken Benediktinerabtei, durch eine wunderbare Landschaft die man höchstens dann kennt, wenn man im Sommer ein Radlfahrer ist und diese große Runde mit der Rückfahrt über den Fernpaß unternimmt, denn für einen Inntaler gibt es aus bergsteigerischer Sicht kaum einen Grund diese Gegend zu bereisen. Weiters sei im Hochwinter die Ammerwald Straße wegen Lawinengefahr öfters gesperrt.
Als Startpunkt im Ammerwald eignet sich die ehemalige Zollstation, die einigen wenigen Fahrzeugen Platz bietet. Zur Not könnte man noch – je nach Schneelage – neben der Straße oder bei der Ammerwaldalm parken (wie immer mit Einkehr hinterher natürlich, falls geöffnet).
Der Blick den Nordhang hinauf löste ein wenig Seufzen aus, denn bis weit hinauf erspähten die Augen viel mehr Grün als Weiß. Allerdings mußten wir Mitte März in einem eher durchschnittlichen Winter und vielen warmen Tagen zu Beginn des Lenzes damit rechnen. Also wurden die Schi auf den Rucksack gepackt und der Aufstieg auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vorbei an einer Hütte mit dem klingenden Namen „Umkehrhütte“ angetreten.
Es gibt vor der Umkehrhütte einen sichtbaren, schmalen Einstiegspfad in Richtung „Ammerwaldloch“, der Flurbezeichnung, die das Ende der flacheren Geländestufe auf etwa 1.460m bezeichnet, bevor der Aufstieg auf den Westlichen Geierkopf in steileres Latschengelände übergeht.
Rasch verlieren sich die Steigspuren hinter der Hütte, aber man bedarf ihrer eigentlich auch gar nicht, denn der Aufstieg ist klar mit der südlichen Richtung vorgezeichnet und er führt in Richtung der freien Schotterreise die einige Gehminuten hinter der Hütte plötzlich mitten im Wald beginnt und bis zum Beginn der einzigen Flachstelle der Schitour hinaufzieht. Im Winter steigt man über sie mit Kehren auf, wir wanderten teils über Schneeflächen, teils aper über etwa 250Hm bis auf 1.350m hinauf, wo wir dann die Schneedecke geschlossen vorfanden und der Anschnallpunkt gekommen war.
An dieser Stelle verbreitert sich die vollständig mit Schotter gefüllte Mulde auch merklich, und in weiten Kehren stiegen wir die noch fehlenden 50Hm bis zur eher flachen Stelle aufwärts.
Am Ende dieser Passage sieht man sich einer zunächst völlig sperrenden Latschenfläche gegenüber, in die aber links ein kleines Tälchen führt, das den Aufstieg durch die Latschenfront in sich birgt und dem man auch weiterhin folgt, wenn man bereits glaubt sich vergangen zu haben. Nun befindet man sich mitten im „Ammerwaldloch“.
Das Tälchen endet nach einer Minute Aufstieg unweigerlich an einer Stelle mit einem gefrorenem kleinen Wasserlauf, einem kleinen Talkessel gleich, aus dem rechterhand durch steiles Gelände zu den Latschen aufgestiegen wird, um oben – wieder links – einen sichtbaren Durchlass durch die Latschen zu finden. Im Hochwinter mag die Situation mit Schi zu begehen sein, wir mußten sie schultern, auch weil wir den weiteren Verlauf nicht kannten.
Ab diesem Gelände wird die Schitour auf den Westlichen Geierkopf so richtig „karwendelig“ und knapp oberhalb der Steilstufe (bei unserer Begehung weitgehend vom moosigen Wasserlauf vereist) verläßt man auf etwa 1.520m den Latschengürtel auch schon wieder ins freie Gelände unterhalb der Nordwände des Geierwandmassivs.
In der Folge wird eine schöne Steilfläche am äußerst linken Rand des sich nach etwa zehn Minuten Aufstieg öffnenden Kars aufgestiegen, bevor die gesamte Breite des Kars von über 300m sichtbar wird. Das Gelände wird mit dem Aufstieg ab 1.650m auch merkbar steiler, wobei die Hangneigung bis etwa 1.800m unter 35° bleibt.
In die Felsen der Nordwand des Westlichen Geierkopfs waren bereits zwei Seilschaften kurz vor uns eingestiegen, die auch vor uns am Parkplatz waren und die wir nun kaum 100Hm über uns in Fels und Eis auf die Rampe nach Osten aufsteigen sehen konnten.
Harscheisen anzulegen beschlossen wir mit zunehmender Plagerei auf der harten Oberfläche etwa auf 1.700m und konnten somit den Aufstieg dadurch etwas mehr auskosten, als daß nicht bei jedem Schritt der optimale Gripp auf der harten Schneeoberfläche gesucht werden mußte, sondern wir auch den Blick auf die herrliche und unbekannte Umgebung zu richten vermochten.
Der querende Aufstieg zum engen Karabschluß oben erforderte die Passage eines mittelbreiten, alten Schneebretts das nochmals etwas Konzentration bei der Durchschreitung bedurfte, bevor ab etwa 1.800m der steile Teil der bärigen Tour begann.
Zum Abschnallen der Schi und – gegebenenfalls anlegen der Steigeisen – empfiehlt sich eine kleine Ausbuchtung, eine Art Gufel in geschützter Position am oberen Karabschluß, unterhalb der richtig schmal werdenden Rinne zu einem kleinen Felsentor, das wie eine Art Belohnung für die Aufstiegsmühen unterhalb des Grates auf den Durchstieg des Bergsteigers wartet.
Allerdings muß man sich die Belohnung nochmals mit Sonderanstrengung verdienen, da der Aufstieg dorthin mit immer steiler wird und kurz nach dem Felsenfenster seine größte Steigung mit gut 60° erreicht und sozusagen die Schlüsselstelle der rassigen Schitour bildet.
Bei unserer Begehung überlagerte sich die Steilheit mit einem ungeahnt harten und dicken Schmelzharschdeckel, für dessen Perforation der maximale Einsatz an Kraft zum Schlagen von Tritten aufgewendet werden mußte. Wir hielten und recht nahe an der östlichen Felslinie, da Tritte dort leichter einzubringen waren als mittig im Couloir.
Leider spitzte sich die Situation mit dem bockharten Untergrund nach oben hin zu – welche durch die vermehrte und längere Sonnenbestrahlung auch logisch ist – und zusätzlich kam hinzu, daß die Wechte eine nahezu senkrechte Wand von der Mitte bis auf die rechte Seite des Couloirs bildete und uns auf die weniger steile und gottseidank felsendurchsetzte linke Seite zwang.
Auf diesen etwa 20Hm von unter dem Felsentor bereuten wir die Steigeisen lässigerweise zuhause ruhen zu lassen, weil man anhand von Fotos die Einschätzung getroffen hatte, diese Passage „mit links“ zu nehmen.
Wie leicht wäre es gewesen mit Steigeisen durch das schöne Couloir aufzusteigen…ein Lerneffekt mehr im Bergsteigerleben – es hatte ja lange keine Niederschläge mehr und die Sonne arbeitet im Frühjahr kräftig, man hätte es erahnen können.
Durch die ein wenig ausgeaperte Felsstufe mühten wir uns auf eine ungute, ausgeaperte und sehr schottrige Flachstrecke empor und entdeckten dabei im festen Fels weiter unten glücklicherweise einen festsitzenden Haken, der uns später gute Dienste leisten sollte. Aufgrund der extremen Situation gibt es von dieser Passage keine Fotos im Aufstieg.
Oben am Grat angekommen mußten wir zuerst unter willkommener Sonnenbestrahlung den doch einigermaßen prekären Aufstieg, zuletzt mit den Plastikschuhen über teilweise vereisten Fels, verdauen und den weiteren Verlauf der Tour in Augenschein nehmen. Gut 35 Minuten hat uns die knapp über 100m Strecke mit rund 70m Höhenunterschied gekostet.
Vom aperen Grat konnten wir die alte Aufstiegsspur zur Ostflanke des Westlichen Geierkopfes erkennen, die recht steil weiterführt und sich fast aperer präsentierte, als schneebedeckt.
Diese Flanke weist in ihrem Mittelteil eine Hangneigung von etwa 40° auf, die wir im Aufstiegssinn links umgangen haben und auch die einzige Möglichkeit darstellte ohne Abschnallen bis zur Südwestrippe des Westlichen Geierkopfs aufzusteigen.
Auf der Höhe des Flachstücks auf der Südwestrippe kann man das unweit entfernte Gipfelkreuz des Westlichen Geierkopfs erblicken. Aufgrund der weitgehend ausgeaperten Südflanke beschlossen wir die restliche Strecke – etwa 300m und 60Hm – zu Fuß zu begehen, die Abfahrt wäre nicht mehr möglich gewesen.
Nach dreieinhalb Stunden standen wir am Gipfel des Westlichen Geierkopfs.
Das Gipfelkreuz der Bergkameraden Breitenwang muß ein sehr altes sein, denn sowohl der Eisenkranz auf den Balken als auch eine aufmontierte Aluminiumtafel der Bergkameraden erinnern an die Gefallenen im letzten Krieg. Die Gipfelbuchschachtel stammt von der AV-Sektion Schongau in Bayern, die das Buch vermutlich heute betreut.
Über die Nordwand auf den Ammerwald hinunter geblickt kann der untere Teil des Aufstiegs von der Straße aus bis zum Ammerwaldloch und den Durchschlupf durch den Latschengürtel eingesehen werden.
Im Osten recht markant der Kramerspitz und etwas weiter dahinter und deutlich höher, die Soiernspitze, nördlicher Ausläufer des Karwendels, sowie durch das kurze Wolkenfenster die hohen Karwendelberge mit Birkkarspitze und Große Seekarspitze.
Durch die Abflachung von Karwendel und Wettersteingebirge beim Scharnitzpaß besteht auch ein unerwarteter Blick auf die heimatlichen Berge der Bettelwurfkette in 53km Entfernung. Zwischen Oberer Wettersteinspitze und Wettersteinwand blicken die beiden Lafatscher hindurch.
In der Wettersteinkette konnten wir markante Gipfel wie den Musterstein, die Dreitorspitzen und im Vordergrund dieser, Waxenstein Alpspitze und Hochblassen aus den Wolken ragen sehen. Weiter im Südosten konnten wir den Blassengrat bis zur Zugspitze vortrefflich verfolgen. Der Schneefernerkopf beendet die Sicht auf die Wettersteingipfel.
Gegen Süden reicht der Blick von Hochplattig bis zur Westlichen Griesspitze in der Mieminger Kette und weiter über den in den Sellrainer Bergen gelegenen Dreitausender, den Sulzkogel, über den Grünstein wieder in den Miemingern bis zum Acherkogel in den Stubaiern.
Ganz im Süden befindet sich der südliche Hauptkamm der Ammergauer Alpen von Daniel bis Hochschrutte und dahinter die hohen Ötztaler Dreistausender mit Verpeil- und Wazespitze.
Im Südwesten schlußendlich reichte sie Sicht von der Großen Schlenkerspitze über die Namloser Wetterspitze und der weit entfernt liegenden Freispitze bis zum zentralen Berg bei Heiterwang, den schön geformten, massiven Thaneller, der Urbeleskarspitze in den Lechtaler Alpen und dem massiven Hochvogel in den Allgäuer Alpen sowie der markanten Köllenspitze in den Tannheimer Bergen bei Reutte.
Den Abschluß der gewaltigen Rundschau bieten der nahegelegene Säuling, Hoher Straußberg und Branderschrofen in den Ammergauer Alpen im Nordwesten und im Norden Krähe, Hochblasse und Hochplatte.
In unmittelbarer Nähe, verbunden mit einem leicht begehbaren Grat im Sommer thronen der Hauptgipfel der Geierköpfe und die Kreuzspitze.
Eine halbe Stunde nach unserer Ankunft und einer Gipfelpause zog es von Westen her merklich und schnell zu, sodaß wir nach einer halben Stunde beschlossen den Rückweg anzutreten, vor allem um nicht in schlechte Sichtverhältnisse durch Nebel zu kommen, weil wir ja auch den Steilabstieg oberhalb des Felsentors zu meistern hatten.
Der Weg zum Schidepot nahm etwa zehn Minuten in Anspruch und der aufkommende Wind zeigte uns die richtige Entscheidung zum Rückzug. Rasch waren wir über den aperen Teil des Südwesthangs zur durchgehenden Schneedecke abgestiegen als die Sicht schon diffus wurde.
Mit den Blicken an der Kante der Scharte zum Felsentor hinab befanden wir ohne langes Überlegen, daß der verhärtete Wechtentrichter eher lebensgefährlich als genussvoll abzufahren sein würde und bereiteten uns auf den Rückzug durch Absteigen vor.
Die Lehrstrecke im Aufstieg in Erinnerung benutzten wir gerne den Haken als Abseilhilfe über die vereisten Schrofen, die uns im Aufstieg viel Mühe gekostet hatten. Mittels einer Reepschnur in den Haken gefädelt konnten wir uns bequem über die unangenehme Stelle hinunter abseilen.
Über unsere bereits vorhandenen Tritte erreichten wir in zwanzig Minuten die Gufel im flacheren Teil 70m tiefer wieder, wo wir den Abfahrtsgenuß weiter fortsetzen konnten.
Die Tageserwärmung bis 13 Uhr vermochte den nordseitigen Hang nicht wesentlich aufzutauen, sodaß wir im oberen Teil des Kars noch auf recht harter Unterlage abfahren mußten, bevor die Schneeoberfläche in Latschennähe etwas schmieriger wurde.
Wesentlich genussvoller präsentierte sich nach dem Durchstieg durch den Latschengürtel der untere Teil der Abfahrt durch das Flachstück bis hinab zum Ende der Schneefelder wo uns noch ein paar Sonnenstrahlen beschieden waren.
Unsere Gesamttourenzeit betrug 5:30 Stunden, bei 1.040 Hm Aufstieg und mit Gipfelaufenthalt von etwa einer Dreiviertelstunde.
zum Abschluß noch 250Hm feinstes Fahrvergnügen
Die Streckenlänge auf dem durchwegs steilen Nordanstieg ist eher unbedeutend und beträgt lediglich 2,8 km.
Ein Tipp für die Rückfahrt: wenn die Ammerwaldalm geschlossen hat, dann findet man in der Gröblalm, knapp 15 Minuten weiter in Graswang, Richtung Ettal eine empfehlenswerte Einkehr.
Mils, 14.03.2020