Sonntag 21.10.2012, Bergtour auf den Wilder Freiger, 3.418m, Start beim Parkplatz Grawa-Alm auf 1590m um 8:04
Die Fahrzeugschlange der Trainierer wälzte sich mit monotonem Rauschen zum Parkplatz der Gletscherbahn während wir den Aufstieg begannen. Nach ca. 25min im Wald hatten wir die erste Steilstufe zum Plateau der Sulzenaualm erreicht. Der Fahrzeuglärm wechselte nun mit dem lauten Rauschen des Sulzaubaches.
Ab jetzt war die Schneedecke ziemlich durchgängig, nur der Weg ist teilweise frei. Bei der menschenlosen Alm erwartete uns ein unfreundlicher, ja schier verrückter Colli mit dermaßen gefletschten Zähnen, daß wir es vorzogen im Tiefschnee im Abstand von 50m die Alm zu passieren. Bei dem sinnlosen Vieh verstummte schlagartig die Kläfferei.
Nach einer weiteren halben Stunde erreichten wir, nach der für das Stubai so charachteristischen weiteren Steilstufe, die Sulzenauhütte und die ersten erwärmenden Sonnenstrahlen erfreuten uns bei unserer kurzen Trinkpause. Leberknödel wären nun gerade recht gekommen, es war 9:13 und wir eine gute Stunde unterwegs.
Der nächste Abschnitt bis zur Gletscherzunge lag im Schatten des Aperen Freigers und es begann tiefer Schnee mit wenig freien Stellen.
Nach der Blauen Lacke endeten die aperen Stellen und ab nun ging es in 40-50cm Neuschnee weiter.
In der Woche vor unserer Tour hatte es ordentlich abgekühlt und obwohl während der gesamten Woche das Wetter schön war, hatte sich ab ca. 2.300m eine Neuschneedecke erhalten, an der keinerlei Schmelzprozesse genagt haben. Zu unserer Erschwernis in den Leestellen der Hänge tief bis zur Hüfte.
Dank einiger weiterer Bergsteiger hatten wir das Glück, daß für uns bereits gespurt war und knapp unter der Gletscherzunge trafen wir auf zwei gut ausgerüstete Tschechen oder Polen am Abstieg. Die wollten den Sonnenaufgang sehen, dachten wir, und begrüßten sie kurz.
Nach der Richtungsänderung nach Süden, dem Lübecker Weg folgend, die Fernerstube hinauf, trafen wir die Sonne wieder, die uns, die Hälfte der Umrundung des Aperen Freigers entgegenkommend, nun tolles Licht und Wärme am Aufstieg zur Gletscherquerung lieferte.
Auf Höhe 2.950m querten die Spuren den Gletscher Richtung Wilder Pfaff und umgingen somit den Gletscherbruch der sich aus dem Fernerkessel herunterschiebt. Dies wollten wir eher nicht, der weitere Anstieg an der östlichen Fernerkante (Normalweg lt. AV-Karte) wäre uns lieber gewesen. Die Spuren jedoch stimmten uns sicher bis zur weiteren Wende nach Ost, ca. auf Station 3.050m. Hier beschloß ich, wegen des blanken Eises, daß die Steigeisen und das Seil her mußten. Zu tückisch erschien mir die Situation mit der noch zarten Schneedecke.
Der weitere Weg am Seil dahin war naturgemäß anstrengend, Manu zog mich am gespannten Seil, wenn er Stellen passierte, die wenig Schnee hatten und schnell durchschritten werden konnten und ich mußte an ebendiesen Stellen den Schritt verlangsamen, wenn er wieder in tiefere Stellen kam, um Schlaffseil und Seildehnung im Notfall optimiert zu gestalten. So im raschen Stop And Go mühsam weiter bis zur Einstiegsscharte die den Südgratanstieg zum Gipfel eröffnete.
An dieser Stelle trafen wir auf drei Bergsteiger, nach dem Dialekt zu schließen, aus der stuttgarter Gegend. Sie waren im Abstieg begriffen und wir faßten nicht ganz auf was sie meinten, als sie uns wissen ließen, sie müßten heute noch ins Tal und seien deswegen gerade am Abstieg. Auch wir müssen heute noch wieder ins Tal und wir sahen diesen Umstand als nicht weiter erwähnenswert an. Sodann hatte man sich bereits passiert und aus der Sprechdistanz verloren. Sie am Gletscher im Abstieg, wir am steil aufragendem Grat im Aufsteig.
Die Steigeisen erwiesen sich für das weitere Vorhaben als absolut unerläßlich und nach ca. 50 weiteren Höhenmetern sahen wir, bei den, teilweise auf die Schattenseite ausweichenden, Fixseilen, daß ab hier ohne Steigeisen kein sicheres Fortkommen mehr möglich gewesen wäre. Teilweise, im Tauwechsel total verhärtete Partien, waren zu meistern. Meist nur die Vorderzacken zu verwenden kämpften wir uns auf den Vorgipfel hoch.
Am Ende des Verbindungsgrates, noch vor der Steilstufe, endeten alle Spuren unserer Vorgänger. Da wußten wir, daß beide Gruppen den Gipfel heute nicht erstiegen hatten und wir wahrscheinlich die Einzigen sein würden die das heute tun.
Am Verbindungsgrat angekommen erheischten wir einen ersten Blick auf den Gipfel und mußten feststellen, daß es noch gute 20min sein würden, denn nun ging es auf und ab am Hochgrat, fast immer auf Gipfelhöhe, aber eben nur fast. Und die Gratkletterei mit den Steigeisen war im Aperen recht beschwerlich, jedoch notwendig, denn wenn die Route nach Norden wechselte war es für guten Halt notwendig die Vorderzacken tief einzuschlagen.
Trotzdem war die Kletterei im eher leichten Fels ein Genuß und um 13:20 Uhr ereichten wir nach 5:15 Stunden Aufstieg den Gipfel.
Nach einer schnellen Jause und wegen der fortgeschrittenen Tageszeit traten wir 20min später wieder den Rückzug an. Mir sind Abstiege im Spätherbst bei Dämmerung und niederen Temperaturen in den nassen Schuhen nicht sympathisch.
Zunächst aber erlebten wir die Sonnenstrahlung mit höchster Leistung und schwitzten nicht weniger, als wir den Grat rückwärts meisterten.
Die Steigeisen nun im sehr angenehmen Einsatz am Abstieg, 40° Passagen ohne Einsatz der Hände zur Sicherung. Jeder Schritt saß satt in Eis und Harsch und ich koketierte ein wenig mit der Steilheit und dem Halt der Eisen. Ein phantastisches Gefühl und ohne jegliche Anstrengung die Flanke zum Verbindungsgrat hinab.
Den Gletscher querten wir, trotz der Erfahrung beim Aufstieg, wieder angeseilt und im Eiltempo, denn der Sonnenwinkel verflachte sich dramatisch und man merkte nun auch, daß die Kraft der Strahlung deutlich zurückging, obwohl es erst zwischen 15 und 16 Uhr war. In dieser Höhe Spätherbst und Ende der Saison eben.
Der Südhang der Ruderhofspitze, in der Kette geographisch gegenüber unserer heutigen Tour (nördlich), war das Abschlußziel im letzten Jahr (siehe Bericht vom 20.11.2011) und er leuchtete zu uns herüber, als wir im Schatten des Wilden Pfaff’s die Fernerstube hinauswanderten.
Viele Passagen mit Matsch mußten ab der Blauen Lacke nun passiert werden und dies bedeutete, daß die Schuhe bereits ab ca. 2.300m völlig durchnäßt wurden.
Bei der Sulzenauhütte um 16:20 nach einer der vielen Trinkpausen abmarschiert erreichten wir den Parkplatz bei der Grawaalm um knapp vor 17:30, was einer Gesamttourenzeit von 9:20h entspricht. Die gesamte Höhendifferenz betrug 1.900m.
Ein deftiges Essen auf der optisch und kuklinarisch empfehlenswerten Tschangelair-Alm 5min mit dem Auto talauswärts beendete das Spitzenerlebnis.