Wenig bekannt in des Landes Mitte und auch im Schatten beliebter Schitouren in der Region liegt der von Kasern aus kühn anzuschauende Gipfel der Frauenwand. Einer der ersten Gipfel der Zillertaler Alpen, knapp südlich des Tuxer Jochs gelegen, bietet die Frauenwand eine nette Schitour knapp unter 1.000 Hm Aufstieg mit einer tollen Abfahrt, die vom Kaserer Winkel im hintersten Schmirntal begangen wird. Bei Neuschnee und sicheren Lawinenverhältnissen stellt die im unteren Teil steile Abfahrt vom Tuxer Joch ein tolles Abenteuer dar.
Durch die Hangausrichtung der südlichen Flanke vom Tuxer Joch bis zum Kaserer Winkel ergeben sich schattseitige Nordwest- und Westabfahrten ins Tal, die im unteren Teil noch von der westfallenden Rippe des Tettensgrates verstärkt werden und im Frühwinter ohnehin spärlich Licht bekommen. Dies mag für jenen, der eine Pulverabfahrt sucht, der Antrieb sein, für den Naturliebhaber bietet die Tour landschaftliche Reize.
Auf 1.622 m Seehöhe liegt der Ausgangspunkt der Schitour auf die Frauenwand, der kleine Parkplatz bei den letzten Bauernhöfen in Obern (Kasern), im hintersten Schmirntal. Im Frühjahr kann man oft beim Gasthaus Kasern parken und spart somit ein paar hundert Meter Strecke und etwa 10 Hm, die vom Parkplatz aus verloren gehen, will man in den Kaserer Winkel.
Der Alpengasthof Kasern übrigens kann vom Verfasser mit Freude empfohlen werden, eigentlich ein Pflichtbesuch bei der dortigen Bevölkerung. Zuletzt war dort ein Besuch im Herbst 2020 möglich, anlässlich der schönen Bergtour auf die imposante Hornspitze, bevor die Saison endete und eine Öffnung durch die abstrusen Maßnahmen wegen dem Virus nicht absehbar ist; hoffentlich jedoch zu Saisonbeginn per Mitte Mai.
Bei Nebel starteten wir unsere Begehung in der wunderschön verschneiten Landschaft und durch die düstere Szenerie, beim Blick in den Kaserer Winkel, vorerst mit etwas bedrückendem Gefühl. In Gegenrichtung, ins Kluppental geblickt, zeigten sich bereits besonnte Hänge, womit wir wussten, daß es nur eine Frage von vielleicht einer Stunde sein würde, bis auch der Kaserer Winkel vom Nebel befreit ist.
Vorbei an den letzten Gehöften im naturbelassenen Tal steigt man über gut 2 km mit wenig Höhengewinn die 160 Hm bis zum Einschnitt der sich vom Tuxer Joch herunterzieht, bevor die Route in eine gewohnte Steigneigung übergeht.
Am Weg dorthin spurten wir bei der Abzweigung vor der ersten Brücke über den Kaserer Bach den Normalweg links weiter, der noch jungfräulich war und freuten uns die ersten zu sein. Erst kurz vor dem Tuxersteig bemerkten wir die Spur von der rechten Bachseite herüberziehen und kurz darauf bemerkten wir etwa 200m höher oben eine Dreiergruppe in die Tettensgrube aufsteigen, die spurte. Die Stockabdrücke offenbarten, daß die drei die einzigen waren, die sich voraus befanden.
Mittlerweile klarte der Himmel restlos auf, ein schöner Tag kündigte sich an und bei Temperaturen merklich jenseits von -10°C litten die alten ersten Fingerglieder nach nun einigen leichten Erfrierungen sehr und bedurften wiederholten Schüttelns zur künstlich erzeugten Durchblutung.
Am Tuxersteig fasste der Verfasser mit seinem fortgeschrittenen Alter endlich den Entschluss der Natur nachzugeben und erweitert kältegerechte Kleidung zu kaufen, Fäustlinge, die er bis dato Kindern und Frauen zugeschrieben hatte.
Der Aufstieg über den Tuxersteig erfolgt im lichten Lärchenwald mit altem Baumbestand gemischt mit der edlen Zirbe, der weiter oben ausdünnt. Mit einigen Serpentinen, vorbei an bereits ausgeschnittenem Windwurf kämpften wir uns über den schönen Rücken hinauf. Die kurze Steilpassage vor der Mündung des alten Steiges in die neu angelegte Radlstrecke erforderte etwas Akrobatik, da dort eine direkte Linie an und über der Haftungsgrenze der Felle bewältigt werden muß.
Anschließend fanden wir einen genussvollen Anstieg über die Steilfläche zur Baumgrenze vor, bevor die nicht zu unterschätzende Querung zum Hochtal, aufgrund der Hangneigung, unter den steilen Hängen des Tettensgrates (Klamml) zu absolvieren war.
Mit den letzten jungen Lärchen – alleine über den Baumbestand ist die Heimsuchung des Hangs durch Lawinen erkennbar – setzten wir auf etwa 2.100 m über in das durchgehend mäßig steile Hochtal zum Tuxer Joch. Unter mäßig steil ist hiermit, im Sprachgebrauch der Schitourenbeschreibung, eine Hangneigung unter 35° zu verstehen. Von Beginn des Tals bis zum Joch werden auf gut 700 m immerhin 240 Hm zurückgelegt, welche einer durchschnittlichen Neigung von 18° entsprechen.
Im Blick rechts nach oben treten vom Saum des Horizontes immer wieder interessante Mulden ins Blickfeld, die bei der Abfahrt oben zu denken geben, ob sie nicht fahrbar wären und die auf der Karte interessanteste, die Langgrube, oder Longgruabe, von den Böden unterhalb der Frauenwand hinab zur Schäferhütte, bleibt dem Blick der Begehung vorbehalten. Sie befindet sich südlich hinter dem Tettensgrat und erweckte bei der Tourvorbereitung bereits das Interesse des Verfassers.
Gegen das Tuxer Joch hin tritt nordseitig die imposante Hornspitze mehr und mehr dem Blickfeld zutage. Die Besonderheit ihrer erhabenen Gestalt, die der Winter mit den Eigenschaften von Schnee hervorzaubert, kommt durch den scharfen Kontrast der Farbgegensätze von Schnee und Fels zu eindrucksvoller Geltung und besteht aus dem Baumaterial Kalkphyllit. Das Baumaterial der Hornspitze findet sich nicht mehr auf dem weiteren Routenverlauf zur Frauenwand.
Tettens, vom Joch aus im Rückblick westwärts gesehen, liegt eindrucksvoll an der Alpengrenze. Rechts der Norden der Tuxer, links im Süden die Zillertaler Alpen und diese, zum Gipfel der Weißen Wand (auch Ramspitz, Ramskopf) hin, zunächst von gezähmter Natur, eher leichte Mulden und niedere Kuppen denn blockig ungestüm aufragende Formen des Kristallin des Tuxer Hauptkamms, die weiter im Süden aufragen.
Die hochflächenartige Ausbildung – in der Flurbezeichnung wird sie auch „Böden“ genannt – bleibt auf der Reststrecke im Aufstieg zur Frauenwand bestehen und dadurch mutet diese Gegend so völlig anders an als man sie erwarten würde.
Das Geheimnis der Landschaftsformen liegt – wie könnte es anders sein – in den Eigenschaften des Gesteins. Die Topographie über die letzten 200 Hm zur Frauenwand ist geprägt von verschiedenen Phylliten (Schwarzphyllite, quarzreiche Phyllite).
Die restliche Strecke beträgt etwa einen Kilometer, wobei ein sehr kurzes Stück im Hintertuxer Schigebiet liegt und das Einflussgebiet der 4er-Sesselbahn Tuxerjoch tangiert wird (präpariert, jedoch mit Alpinschi nicht erreichbar) und Pistenmarkierungen die Schigebietsgrenzen ausweisen.
Im Anstieg vom Tuxer Joch auf die Hochfläche zeigten sich klarer weise typische abgeblasene hartgepresste Rücken und Kuppen im Einflussbereich des Jochwindes, die einer weichen Schneeoberfläche auf der Hochfläche weichten und einen angenehmen Aufstieg zur bald sichtbar werdenden Frauenwand boten.
Am Weg zur Frauenwand könnte der um knapp 100 m niedrigere Gipfel der Weißen Wand mit wenig Zeitaufwand mitgenommen werden, wobei ein nochmaliges Auffellen in der Verbindung beider Gipfel, für nur etwa 50 Hm, vonnöten wäre. Angesichts der harschen Temperaturen unterließen wir diese kleine Ausweitung.
Im Halbkreis über die Böden näherten wir uns der runden Kuppe der Frauenwand mit dem Mini Gipfelkreuz in der Ostflanke und der separaten Gipfelbuchschachtel. Nach Westen hin fällt die Frauenwand mit senkrechter Flanke ab, was möglicherweise die Ursache für die ungewöhnliche Aufstellung des Gipfelkreuzes darstellt.
Der schöne Blick auf den Kleinen Kaserer, der im Grat zum Olperer das höchste sichtbare Ziel wäre und auf den Olperer blieb uns verwehrt, eine hartnäckige Nebelbank hielt beide Ziele unter Sichtverschluss.
In der Südostflanke fanden wir ein windgeschütztes Plätzchen zwischen den zerrissenen Kalkmarmorblöcken, die altersmäßig nicht mit jenen der Schöberspitzen zusammenhängen.
Die Gipfelrast fiel durch die unangenehme Kälte mit dem leichten Wind aus Nordwest relativ kurz aus und blad traten wir die Abfahrt an.
Für die Abfahrt, die mehr oder weniger entlang der Aufstiegsroute erfolgt, kam uns eine wahrscheinlich interessante Variante in den Sinn.
Es sollte möglich sein von den Böden über eine breite Mulde südlich des Tettensgrates, über die sogenannte „Longgruabe“ zur Schaferhütte abfahren zu können. Von der Hütte aus müßte man in den Lärchenwald der Tettensgrube queren können.
Weil allerdings an diesem Tag die LWS III ausgegeben wurde unterließen wir die Erkundung, sie dürfte im Spätwinter eine interessante Alternative zu den flachen Böden hinab zum Tuxer Joch sein.
Wir fuhren also in fast direkter Linie über kupiertes Gelände Richtung Tuxer Joch ab und bogen kurz vorher über eine steilere Rinne nach Tettensbrunn hinab. Die zweite Abfahrtsvariante, die Hänge vom Hocheck hinab, umgingen wir somit ebenfalls.
Den schönsten Teil der Abfahrt genossen wir im unteren Teil der Tettensmulde, in der wir tollen Pulverschnee vorfanden. Hier ein kleines Video davon und vom untersten Teil der Abfahrt durch den Lärchenwald.
Der steile Waldabschnitt war unter Tiefschneebedingungen ebenfalls ein tolles Erlebnis, wenn auch recht anstrengend.
In der Tettensgrube wechselten wir auf die andere Talseite, die weitgehend baumfrei ist und dadurch angenehmer zu befahren.
Abschließend querten wir über eine schmale Brücke den Kaserer Bach auf die orographisch linke Seite des Kaserer Winkel über die es sich nicht irgendwie besser aus dem Tal ausfahren ließ, als wären wir unseren Spuren auf der rechten Talseite gefolgt.
Kurz vor dem Gasthaus, auf den letzten 600 m Strecke bis zum Parkplatz mußten wir die Schi teilweise tragen, um die kleinen Höhenunterschiede zu bewältigen.
Mit 4:09 Stunden, incl. 25 min Aufenthalt am Gipfel absolvierten wir die wenig begangene kurze Schitour auf die Frauenwand. Der gesamte Aufstieg beträgt knapp 1.000 Hm und die Streckenlänge bis zum Gipfel etwa 5,4 km.
Mils, 30.12.2020