Die stille Alternative zum viel besuchten Zwieselbacher Rosskogel stellt die schöne Schitour auf die etwas niedrigere, weniger oft besuchte Weitkarspitze dar, die ersterer, in Bezug auf Aussicht und Erlebnis, um nichts nachsteht. Denkbar wäre auch den Bergtag auf beide Gipfel zu erweitern. Die Abfahrt kann über die Anstiegsroute erfolgen, oder, bei unbedenklichen Verhältnissen, Richtung Wildes Kar und über den schräg verlaufenden Steilhang zur Aufstiegsroute hinab, der aus der Sicht im Anstieg in der mächtigen Felsmauer deutlich hervortritt.
Für die unspektakuläre, leichte Schitour auf die Weitkarspitze benötigten wir wetterbedingt zwei Anläufe an aufeinanderfolgenden Wochenenden Ende April/Anfang Mai und dies auch nur, weil bei der ersten Begehung der Gipfelhang während unseres Aufstiegs unterhalb der Wilden Neder mehr und mehr im Nebel verschwand und die Begehung abgebrochen werden mußte.
Um halb sieben in Haggen zu starten war ein guter Plan für die fortgeschrittene Jahreszeit hinsichtlich guter Schneebedingungen für die Abfahrt.
Schlechtes Wetter am Vortag bescherte uns bereits kurz nach Haggen einige Zentimeter Neuschnee, die ausreichten, um die Tragestrecke zu verkürzen. Nach dem Lärchenwald und noch vor der markanten Wegbiegung konnten wir schon unter Schi aufsteigen.
Je weiter wir uns gegen die erste Zwinge hin bewegten desto besser wurde die Altschneedecke und nach der doppelten Bachquerung fanden wir uns links neben dem Bach auf einer durchgehenden Schneedecke mit gut zehn Zentimeter Neuschnee.
Unterhalb der Zwinge wurden wir von Eiligen überholt, denen selbst die Zeit zum Grüßen fehlte. Sie festigten uns die bestehende Spur und in Verbindung mit dem Neuschnee wandelte sich der stets imposante Aufstieg neben dem tosenden Bach zu einem Spaziergang, der sich seiner Bezwingung meist etwas herausfordernder entgegenstellt.
Ein Prachtanblick ohne ein Wölkchen eröffnete sich uns über die angezuckerte Landschaft im flacheren Bereich nach der Zwinge im Aufstieg, vorbei an der Jagdhütte, über den Bach auf Hallehn zu. Die Kaltfront mit den Niederschlägen hat in dieser Höhe auf knapp 2.100m für einen wahrlich winterlichen Anstieg gesorgt und die Klapperei der Schi über harte Partien blieb im weichen Neuschnee unterbunden.
Nach der langgezogenen Kehre hinter den Muggenbichl hinein geht es in der Talmulde mit dem meist lange gefrorenen, schön anzusehenden Wasserlauf der südlichen Felsbegrenzung, „Untere Strass“ genannt, gegen den nächsten steilen Hang zu, auch als „zweite Zwinge“ bekannt.
Die Spur führte oberhalb der zweiten Zwinge auf die nächste Geländestufe und diese Umrundung der Engstelle erscheint etwas eleganter als ihre Durchsteigung in Spitzkehren.
Eingerahmt vom frisch verschneiten Räuhengrat, seiner Scharte und der nach Süden fortlaufende Grat zur Haidenspitze ergab sich mit dem makellos blauen Himmel eine sagenhaft tolle Szenerie in der, um die Morgenstund sonst recht dunklen Passage auf die Talstufe darüber. Bilder zu Anfang Mai wie im Hochwinter.
Bereits im steilen Teil knapp unter 2.400m, jedoch noch vor der Engstelle konnten wir das Tagesziel schon in voller Beleuchtung erkennen und bei solchen Verhältnissen mußte selbst ein gut bekannter Aufstieg mehrmals abgelichtet werden.
Im flacheren Teil darüber, unterhalb der meist lawinenträchtigen Wilden Needer, konnten wir das Eintauchen in die bereits sonnenbestrahlten Hänge kaum erwarten, die im Hochwinter zur normalen Aufstiegszeit bis hinauf zum Kraspesferner völlig im Schatten bleiben – den Aufstieg bis dorthin hat man meist als einen recht kalten in Erinnerung.
Entlang der stetig ansteigenden Geländelinie, den Senken ausweichend, steigt man in Richtung Steilstufe zum Kraspesferner an. Die Stelle, an der der fast genau westlich aufziehende Gratkamm zur Weitkarspitze seinen Ansatz hat, ist jene, an der wir eine Woche zuvor durch eine leichte Mulde zum flachen Sattel vor dem steilen Kamm zur Weitkarspitze abgebogen sind und als geeigneter Abzweigepunkt für gut befunden wurde.
Mit dem Wissen über diese Möglichkeit sparten wir uns den längeren flachen verlaufenden Anstiegsteil um die Felshügel inmitten des Hochtalkessels herum und damit auch ein paar Höhenmeter Verlust zum Fuß des Gipfelhangs der Weitkarspitze.
Das weite Gelände am ehemaligen Kraspesferner zeigte sich herrlich verschneit mit deutlich erkennbaren Steigspuren. Der Aufstieg auf die Weitkarspitze verläuft in einem Bogen, der heute gar nicht mehr den heutigen Gletscherrand berührt.
Die Reste des ehemalig gewaltigen Kraspesferner beschränken sich auf die Flanke und den oberen Teil (>2.750m) – hierzu gibt es einen gut recherchieren, interessanten Artikel von Kollegen Lukas Ruetz der anhand von Karten- und Fotovergleichen die Rückbildung von etwa 1870 bis 2012 eindrucksvoll veranschaulicht.
Demzufolge befand sich der Anstieg zur Weitkarspitze um 1870 herum noch bis in die Gipfelflanke hinauf vereist (bis über 2.800m) und der zuvor beschriebene Gratrücken noch kaum sichtbar, da völlig von Eis bedeckt (siehe Karte von 1870). Heute kaum vorstellbar, daß die riesige Fläche des ausgeaperten Ferners Dutzende Meter hoch unter Eis lag.
Am Hang zur Weitkarspitze nimmt die Steigung langsam zu, wodurch ab etwa 2.800 ein paar Spitzkehren bis zum Schidepot fällig werden. Nach der ersten folgt eine längere Querung, sowie etwa fünf bis sechs Spitzkehren bis zur Grathöhe.
Unter voller Bestrahlung am Südosthang bereitete uns der Schlussteil des Aufstiegs Hochgenuss mit einer Schreckenssekunde, als auf der Steilstufe zur Zwieselbacher Rosskogel gegenüber ein Schneebrett abging, das ein zweites schräg darunter auslöste und wir ein paar Personen in der Nähe abfahren sahen (Abgangszeitpunkt zwischen 9:25 und 9:34 Uhr, obwohl nur etwa 800m entfernt haben nichts gehört).
Wir beobachteten die Entwicklung ein zwei Minuten, aber da sich die Abfahrenden weiter bewegten war offensichtlich, daß niemand erfaßt wurde und alle aus dem Anrissbereich ausfahren konnten. Nachkommende Aufsteiger bewegten sich ebenfalls normal weiter, ohne erkennbare besondere Aktion.
Im Gipfelbereich der Weitkarspitze dürfte die Hangneigung auf kurzen Passagen etwas über 35° liegen – zumindest findet es sich im TIRIS so ausgewiesen – die durchschnittliche Hangneigung bleibt aber unter 35°.
Am Schidepot, kaum 20Hm unter dem Gipfel, hatten wir eine kuriose Aussicht durch die umliegende weiße Berglandschaft mit saftig grün leuchtenden Wiesen in Haggen im knapp 1.300m tieferen Tal.
Am Gipfel der Weitkarspitze, mit dem kleinen Steinmandl als Gipfelmarkierung, fällt zunächst der Blick auf die bärigen Schitourenziele der nahen Kraspesspitze, des Finstertaler Schartenkopfs und natürlich des etwas entfernten Sulzkogels ins Auge.
Der Blick gegen Südwesten, ins Ötztal, bot ein ähnliches Bild als jener auf Haggen, grünes Tal und lange weiße Hänge in alle Richtungen auf die Grate und Spitzen hinauf, ein tolles Farbenspiel.
Mit schwarzen Flanken unverkennbar in 23,5km direkter Linie hinter Umhausen ragt die Rofelewand auf. Rechts davon der Fundusfeiler, erster Dreitausender im Geigenkamm in den westlichen Ötztaler Alpen und mit deutlich sichtbaren Aufstiegsspuren von der Frischmannhütte aus.
Weiter südöstlich die Namensgeberin des Geigenkamms, die Hohe Geige (3.393m). Knapp rechts von ihr erregte ein mit dem Glas erkennbarer spitzer und völlig weißer Gipfel in immenser Entfernung unser Interesse. Zunächst tippten wir von Erscheinung und Entfernung her auf die Weißkugel, recherchierten aber später, daß es sich um den Äußeren Bärenbartkogel in 52km Entfernung handelt.
Er ist um 264m niedriger als die Weißkugel (3.737m), von dieser gerade 2km entfernt und in dieser enormen Entfernung im Gegensatz zur Weißkugel nur deshalb noch sichtbar, weil der Gepatschferner nicht die Höhe erreicht, um seine Spitze zu verdecken, hingegen die Erdkrümmung die Weißkugel hinter dem Hohen Kogel, der auf gerader Linie und halber Strecke zur Weißkugel im Geigenkamm liegt und um 465m niedriger ist, verdeckt wird. Hier täuscht die App Peak Finder, die unter „sichtbare Berge“ die Weißkugel anführt, denn die Erdkrümmung mit sagenhaften 184m Sichtverlust bis zur Weißkugel läßt den tatsächlichen Sichtwinkel zur Weitkarspitze kleiner ausfallen als jenen zum Hohen Kogel.
Die südlich gegenüberliegende Flanke, die die Weitkarspitze vom Zwieselbacher Roßkogel trennt, trägt ein Steinmandl und verdeckt um wenige Meter die Sicht auf den Zwieselbacher Roßkogel. Sie bietet eine tolle Steilrinne, die vom Zwieselbacher aus hinunter auf den Kraspesferner befahren werden kann.
Nach einer knappen Rast und Studium der Ötztaler Alpen beschlossen wir abzufahren. Vom Schidepot aus wollten wir eine direkte Linie zum flachen Kar finden, von dem wir eine Woche zuvor nach Abbruch der Tour abgefahren sind. Leider war diese Flanke schon weitgehend ausgeapert, sodaß der Belag und die Kanten arg strapaziert worden wären und wir zur Abfahrt in die Senke vor der Scharte gezwungen waren.
Wegen des Neuschnees entschieden wir aber dann die Aufstiegsroute abzufahren, um den steilen Hang unten zu vermeiden, der mit zahlreichen alten Lawinen in der Vorwoche kein besonderes Erlebnis mehr bot.
Somit mußten wir ein paar Meter über eine leichte Kuppe, um zu unserer Aufstiegsroute zu kommen. Wir wollten an geeigneter Stelle nach der Kuppe über den Gratkamm abfahren, jedoch war dieser uneinsichtig steil, mit dem Schneebrett von der Stufe zum Zwieselbacher Roßkogel im Hinterkopf unterließen wir auch diese Variante und fuhren zum Abzweigepunkt und über die Normalabfahrt hinab.
Das Abfahrtserlebnis mit der Neuschneeauflage war natürlich entsprechend genussvoll, weswegen wir eine Kostprobe für „Powderfans“ festgehalten haben:
Bis weit unter die Zwinge konnten wir aus dem Kraspestal ausfahren, aber nach den Altschneefeldern mußten wir die Schi schultern, da der Neuschnee um die Mittagszeit bereits vollends geschmolzen war.
Unsere Aufstiegszeit zur Weitkarspitze betrug 3:20 Stunden, bei 1.300Hm. Für die gesamte Tour benötigten wir 5:45 Stunden inclusive Gipfelaufenthalt von einer knappen Stunde. Die Streckenlänge beträgt gut 7km.
In der Bildergalerie befinden sich ein paar Fotos vom Versuch in der Vorwoche und dem Steilhang.
Mils, 03.05.2020