Der Gebirgszug als Namensgeber des sehr festen Wettersteinkalkes wird an seinem östlichen Ende von den beiden Wettersteinspitzen begrenzt – unser Ziel stellte die höhere der beiden, die Obere Wettersteinspitze dar, von der aus die Überschreitung über den tollen Grat auf die Rotplattenspitze erfolgte.
Weder der Südanstieg auf die Obere Wettersteinspitze noch der Abstieg von der Rotplattenspitze sind markiert. Es gibt einen Steig über die Klamm, die von der Rotplattenspitze herunterzieht – im oberen Teil in der AV-Karte mit „Dischlerklamm“ bezeichnet. An- und Abstieg sind sehr steil und die Runde über den Grat stellt den Höhepunkt dar, der die steile Zuwegung jedenfalls rechtfertigt.
Durch die vollständig auf der Wetterstein-Südflanke gelegene Rundtour über beide Gipfel können im späten Herbst die goldenen Tage mit der letzten Sonne genossen werden, auch bald am Morgen bei frühem Aufbruch.
Am Tag unserer Begehung allerdings mußten wir uns lange gedulden bis Simon und ich in den Genuß der so sehnsuchtsvoll erwünschten Bestrahlung kamen – erst gegen mittags beim Eintreffen am Gipfel der Rotplattenspitze lichteten sich die Hochnebel und die Sonne brach durch.
Zunächst starteten wir in Lochlehen nach mulmigem Gefühl ob der Parkplatz wohl nicht jemandes Eigentum verletzte in den Wald nördlich des Weilers, der weithin sichtbaren Schotterreise zwischen den beiden Gipfeln zustrebend.
Nach der kurzen Waldpassage wird über ein paar Minuten auf Forstwegen am unteren Ende der Reisen ein Jagdhüttchen erreicht, von dem ein deutlicher, aber teilweise unterbrochener Steig über Wiesen in die Schotterzone hinaufzieht.
Bevor sich die Reise zur Klamm ausformt liegen auf ihrer rechten Begrenzung zwei deutlich sichtbare Ausbuchtungen und bei der oberen der beiden zieht von der rechten Begrenzung der Reise ein wenig deutlich sichtbarer Steig nahezu im rechten Winkel hinauf an dessen oberen Ende bereits die ausgeschnittenen Latschen erkennbar sind, die den Beginn eines großzügig ausgeschnittenen Steiges bilden. Ein auffallend rot gefärbter Vogelbeerstrauch bildet im Herbst eine auffällige Landmarke zur Auffindung des Einstieges.
Der steile Steig stellt im Prinzip nichts anderes als die östliche Umgehung der Klamm dar. An einer Stelle befindet sich an einem Steinspitzl eine alte verblichene rote Markierung, was darauf hindeuten könnte, daß er nicht ausschließlich jagdlichen Zwecken dient, oder diente.
Auf etwa 1.650m endet der Umgehungssteig und freies Bergwiesengelände löst den dichten Latschenbestand im unteren Aufstiegsteil ab.
Wir folgten den Wiesen weiter nordöstlich dem Südgrat der Oberen Wettersteinspitze zustrebend. Das Gelände enthält einige Steigspuren, auch deutlich ausgeprägtere, die aber alle nicht unseren Geschmack für die Aufstiegsrichtung trafen. Daher kreuzten wir diese nur und setzten unseren Aufstieg im zunehmend schrofendurchsetzten Gelände in Richtung Südgrat fort.
Ein paar Gemsen säumten unseren Weg und beobachteten unser Treiben in stoischer Ruhe.
Etwas unterhalb der Grathöhe erblickten wir ein auffälliges Stück Stahl im Wiesengelände, das nach näherer Untersuchung ein eigenartiges Gefühl hinterließ. Es handelte sich um einen Bombensplitter, gut 10mm stark und mit vielen Berstrissen durch die Explosion durchzogen – ein untrüglich Zeichen daß das Stück vom Umfang eines Bombenmantels stammt.
Sehr auffallend beeindruckte der Erhaltungs- bzw. der wenig ausgeprägte Korrosionszustand nach etwa 75 Jahren im Hochgebirge. Man hatte die besten Materialien für die niedrigsten Zwecke verschwendet. Gottseidank ist die tödliche Fracht hier heroben auf nahezu 2.000m niedergegangen und hat sein Ziel nie erreicht.
Der wenig ausgeprägte Südgrat der Oberen Wettersteinspitze läßt bereits etwa 250Hm unterhalb des Gipfelkreuzes einen Orientierungsblick auf dasselbe zu. Allein die noch vor dem Kreuz liegenden Türme, Scharten und Rinnen können nicht so gut eingesehen werden, daß bei der Erstbegehung die Ideallinie erkennbar wäre. Wir entschieden uns für eine Variante etwas rechts der direkten Sichtverbindung zum Kreuz und stiegen in die steilen Geländeformen ein. Die Sichtverbindung endet in diesem Gelände gleich darauf.
Nach einigen letzten Schrofen wurden die Stöcke verstaut und rassiges leichtes Klettergelände wurde vorgefunden. Schlußendlich standen wir vor einer etwa 10m hohen Rippe aus festem Fels gebildet und sahen uns gezwungen durch einen sich ober verjüngenden Riß auf den Grat zu gelangen, um die Orientierung zum Kreuz wiederzufinden.
Simon bewältigte die oben an einen „guten Dreier“ grenzende Stelle in Entschlossenheit und fand die Sichtverbindung am Grat sofort, sodaß der alte Mann nachsteigen konnte, zunächst in der Meinung keinen Höhenverlust mitmachen zu müssen. Eine wirklich tolle Passage mußten wir beide von oben feststellen, absolut fest und mit Wasserrippen durchzogen, die beste Klemmgriffe bildeten.
Die Freude über die schöne Stelle währte am weiteren Gratstück allerdings nicht sehr lange, denn wir mußten feststellen am Vorkopf des Gipfels angekommen zu sein. Ein etwa 10m tiefer Abstieg trennte uns durch eine Schuttrinne vom Gipfelaufbau. Diese Hürde mußte noch genommen werden, wobei wir vom Blick hinab in der Rinne unten annehmen konnten, daß sie den Normalaufstieg von der Südflanke darstellt.
Am Gipfel der Oberen Wettersteinspitze herrschte an diesem Tag ein unangenehm kalter Nordwind und wenn er auch nicht besonders stark wehte, so förderte er dennoch immer wieder lästigen Nebel auf die Grathöhe, die unsere Unternehmen zunächst bedenklich erschienen ließ.
Unter ständiger Beobachtung der Nebelsituation im nördlichen Tal Richtung Garmisch pausierten wir ein knappes halbes Stündchen. Der Eintrag ins Gipfelbuch erfolgte auf der abgerissenen letzten Seite des arg mitgenommenen Buches. Ersatz wäre schon im heurigen Sommer nötig gewesen.
In der Ferne von Nordwest kämpfte sich hinter dichter Hochnebelfront blauer Horizont in unsere Richtung durch, der allerdings noch in weiter Ferne lag, als wir beschlossen die Überschreitung zur Rotplattenspitze trotz teilweiser Einnebelung des Grates zu unternehmen.
Anhand der Fotos kann man die Situation natürlich nicht nachvollziehen, darauf stellt man ja nur das Beste dar.
Gleich nach dem Gipfel folgt nach breitem Gratrücken ein schmaler und ausgesetzter Abstieg über eine Kletterstelle, die sich für den Karwendelfreund dermaßen fest darstellt, daß er laut aufjauchzen könnte. Möglicherweise ist diese Stelle die schönste und vielleicht die schwierigste am gesamten Übergang, sie blieb dem Verfasser jedenfalls in guter Erinnerung.
Es folgen in angenehmer Abwechslung immer wieder leichte Kletterstellen, die im Durchschnitt mit II bewertet werden können, vielleicht die eine oder andere kurze Passage mit II+.
Die Kletterstellen wechseln mit großteils Gehgelände und meist befinden sich diese nur in einer Schwierigkeit, die mit II- bewertet werden kann.
Der Grat teilt sich in zwei Abschnitte.
Der Ostteil bis zur Mittagsscharte ist jener, bei dem die interessanten Kletterstellen nach unserem Empfinden etwa 15% der Distanz ausmachen, die leichten Kletterstellen bei denen nur eine Teilabstützung des Oberkörpers nötig ist mit etwa 20% und reines Gehgelände ohne Einsatz der Hände etwa 65%.
Ein auffälliger Gratzacken ca. 5min vor der Mittagsscharte wird südseitig umgangen. Macht man das sehr knapp an seinem Fuße und steigt sofort wieder zum Grat auf kommt man anschließend in den Genuß von einigen kurzen Passagen auf schönen nordseitig hin geneigten Platten, die in anregender Kletterei bewältigt werden können.
Der Westteil befindet sich hauptsächlich im Gehgelände. Kletterstellen muß man nahezu suchen und abgesehen von der einzigen Wandstufe an der Dischlerklamm gibt es nur ganz kure Passagen die geklettert werden können.
Bis zur Mittagsscharte hinab – der Höhenunterschied von der Oberen Wettersteinspitze auf diesem Abschnitt beträgt 50Hm – benötigten wir eine knappe Stunde. Die letzten Abstiegsmeter bis zur Scharte werden von Steinmännern gesäumt.
Nach der Mittagsscharte werden 150Hm Aufstieg ohne weiteren Höhenverlust notwendig. Die Strecke nach der Scharte bis zur Grathöhe wählten wir mit leichter Nordwestroute etwas unter der Grathöhe in der Südflanke, nicht direkt am unbegehbaren unteren Gratteil nach der Scharte.
Rasch erreichten wir aber den Grat wieder und erlebten noch ein paar kleine Gratzacken in Kletterei. Ab diesen formt sich ein breiter Rücken aus, der nur von der vorher erwähnten Felsstufe bei der Dischlerklamm als Gehgelände unterbrochen wird.
Um halb ein Uhr erreichten wir nach nicht ganz eineinhalb Stunden den ungezierten Gipfel der Rotplattenspitze – diesmal dafür in prallem Sonnenlicht.
Außer einer Grenzmarkierung und einem Steinmann gibt es keine weitere Kenntlichmaching der Rotplattenspitze. Zu wenig wichtig wird dieses Zwischenziel zwischen der Oberen Wettersteinspitze und dem noch um 186m höheren Wettersteinwandgipfel sein.
Für uns stellte sie jedoch den Endpunkt der Überschreitung und den Abstiegspunkt von der Wettersteinwand-Kette dar.
Einfrieren hätten wir uns gewünscht den Augenblick zu können, den wir bei toller Herbststimmung am Gipfel zugebracht hatten. Das halbe Stündchen verflog im Nu.
Die Nebel lichteten sich mehr und mehr, zogen jedoch immer noch dunkelgrau aus der Südflanke empor und Simons Idee gleich vom Gipfel anstelle von der Dischlerklamm abzusteigen erschien zunächst ein Blindflug zu werden.
Den wenig ausgeprägten Südgrat der Rotplattenspitze verließen wir über seine linke Flanke (im Abstieg gesehen) bevor sich eine kurze Gratrippe zu einem Kopf ausbildet, hinter der es einen senkrechten Abbruch in Gratrichtung gibt. Dieser Kopf kann vom Tal aus sehr deutlich eingesehen werden und such seine ostseitige Umgehung, um wieder ins Ausgangskar zu gelangen.
Westseitig ließe sich ins nächste Kar absteigen, von dem es über einen Steig an Jagdhütten vorbei auch einen Abstieg nach Lochlehen gibt. Diesen im Anstieg dokumentiert findet man bei Roman & JuergensBericht in Hikalife.
Im Schatten, ostseitig des Kopfes, unterhalb seines Abbruches wird eine tektonisch interessante Stelle erreicht.
Es ist dies eine Trennfuge der Schichten im stark geneigten Wettersteinfels, deren Neigung dann so richtig erfaßt werden kann, wenn man sie zum Zwecke des Abstieges selbst auf Reibung begeht. Diese „Platte“ ist als Fläche dermaßen glatt, daß das Abgleiten der Gesteinsmassen des halben Gratkopfes gut vorstellbar ist und ebenso das noch bevorstehende Abgleiten des nördlichen Teiles des Gratkopfes. Eine eindrucksvolle Stelle am Berg.
Unterhalb des Plattengeländes änderten wir die Abstiegsrichtung nach Ost und stiegen über sehr steiles Schrofengelände bis zur Klamm ab, bevor wir den oberen Teil des Kares erreichten. Unterhalb des Schrofengeländes befinden sich schon wieder oberste Steige, die zur früheren Nutzung durch Viehzucht angelegt worden sein müssen.
Über einen Steig erreichten wir das Gelände oberhalb der Klammstufen an denen sich der Einstieg in den Umgehungssteig wieder finden läßt (Steinmann mit Stecken).
Über den Steig hinab und über die Schotterreise im unteren Teil führte uns der Rückweg bei mittlerweile fast wolkenlosem Himmel zum Parkplatz und auf die empfehlenswerte Sonnenterrasse des Naturwirtes im Ortsteil Gasse in Leutasch.
Von oben muß der Einstieg in den Steig wieder gefunden werden – mehr Fotos zur Orientierung siehe Galerie.
Die bärige und einsame Runde erforderte 1.530m Aufstieg und knapp 7 Stunden Gesamtzeit, wobei wir auf jedem Gipfeln eine gute halbe Stunde Rast einlegten.
Mils, 21.10.2018