„Seabelesspitz” wurde uns von einem ansässigen, älteren Bergretter als die Bezeichnung der Einheimischen für diesen schönen Felsspitz im Naviser Seitenkamm der Rosenjoch-Gruppe genannt, als wir uns am Parkplatz austauschten, wohin jeder seine heutige Tour unternehmen würde. Dies nachdem wir mit: „auf die Seebles“ geantwortet haben.
Die „Seeblas“ sei ja in den Stubaiern und würde nicht „Spitze“ genannt werden…ja wissen wir, diesen haben wir schon bestiegen, aber so steht der neben dem Kreuzjöchl eben in der Karte bezeichnete Spitz…nein es handelt sich also um die „Seabelesspitze“.
Jedenfalls war der Verfasser um diesen verbalen Hinweis für den vorliegenden Beitrag froh, denn man kommt sich immer relativ unbedarft vor, wenn man mit Einheimischen über Flurnamen spricht und die eingedeutschten Bezeichnungen wiedergeben muß.
Die Namensgebung der Seabelesspitze verdankt selbige den Seeblesböden, die oberhalb eines Sees auf der nördlichen Seite im oberen Arztal liegen und von spätglazialen Grund- und Seitenmoränen gebildet werden. Dies soll auch der Normalanstieg auf die im Internet spärlich beschriebene Seeblesspitze sein. Alle Berichte, bis auf jenen von Kollege Jürgen, berichten von der Besteigung von Norden her.
Zur Verwunderung findet sich kein älterer Bericht über eine Besteigung von der Südseite, wo doch dieser anziehende Spitz über den langen Anstieg auf den Almböden zum Pfoner Kreuzjöchl hin den unwiderstehlichen Reiz für eine Besteigung reifen lassen müßte – spätestens dann, wenn man das Pfoner Kreuzjöchl schon mehrfach bestiegen hat.
Dies hat den Jürgen und den Verfasser schon geraume Zeit beschäftigt und angetrieben.
Ein weiterer Grund für die Besteigung der Seeblesspitze sind die schönen Hänge unterhalb seines Südwestgesichts hinab zum Speikbichl und weiters die Hangquerung hinab zur Vögeleralm.
Wie bei allen Schitouren auf der nördlichen Naviser Seite befindet sich der Start am kostengünstigen Parkplatz bei den Grünhöfen (Grünparkplatz). Vorher passiert man – wahrscheinlich als eine der letzen verbleibenden Anlagen im ganzen Land – den die Straße kreuzenden Schlepplift (einmal die Piste, einmal die Lifttrasse), welche einen erhaltenswerten, sympathischen Anachronismus darstellt, der eigentlich schützenden Museumsstatus erhalten sollte, um der Nachwelt vorzuführen, wie es auch gehen kann. Entsprechend ehrfürchtig und – wegen der Kinder – vorsichtig befahre man diesen Abschnitt also.
Am hinteren Ende am Parkplatz steigt man bereits per Schi den schmalen Steig zum Almweg, der zur Peeralm führt, auf und ist dabei gezwungen die ersten und schwierigsten Spitzkehren zwischen den Holzhandläufen des Geländers zu vollführen. Wer die Schi über die paar Höhenmeter schultert, verpaßt dieses Training.
Nach etwa 450m zweigt links der Steig mit der LVS Testanlage ab, dem in den Wald hinauf gefolgt wird. Die abwechslungsreiche Waldstrecke führt teilweise durch dichten Jungwald, teilweise durch lichtere Abschnitte, bei denen die inneren Berge des Navistals zu besichtigen sind.
Viermal kreuzt der Aufstieg den Almweg zur Seapnalm, einmal nach wenigen Minuten im Wald, zweimal davon auf freien Waldflächen und das letzte Mal oberhalb der Baumgrenze kurz vor der Abflachung des Hangs zum Wetterkreuz hinauf.
Ein gutes Stück unterhalb der obersten Querung taucht man, trotz Sonnentiefststand im endenden Dezember, bereits in Morgenlicht ein. Am Tag unserer Begehung eine willkommene Wärmequelle, vor allem gegen den weiter oben einsetzenden Nordföhn.
Auf Höhe des Wetterkreuzes wird eine Flachstelle erreicht, die über eine lange Strecke nur allmählich ansteigt, um nachfolgend steil mit Spitzkehren über die nächste Geländestufe führt. Der auffrischende Föhn erforderte sogar den Wechsel von Aufstiegshandschuhen auf dicke Lederhandschuhe.
Während wir zur Bestimmung der besten Route auf die Seeblesspitze pausierten, schlängelten sich eine beachtliche Anzahl an Gruppen von Tourengehern vor und vor allem nach uns über die toll kupierten Almböden in Richtung Pfoner Kreuzjöchl, was uns ob unseres Zieles jedoch wenig bekümmerte. Recognosciren – um mit den Anfängen des Alpinismus zu sprechen – hielten wir für angebracht, immerhin war wegen des Windes LWS „erheblich“ ausgerufen worden.
Zunächst herrschten verschiedene Meinungen vor, nach dem zweiten Stopp direkt vor dem Grat zwischen Pfoner Kreuzjöchl und Seeblesspitze waren wir weitgehend einig, daß die direkte Grathöhe versucht werden soll. Sollte er sich oben als unbegehbar, oder abgeblasen erweisen, so sah seine Südflanke notfalls über weite Teile recht gut begehbar aus.
Während sich die Massen ab der Einsattelung nach Südwesten auf das Pfoner Kreuzjöchl bewegten zweigten wir kurz vorher rechts, nach Nordosten ab, um auf die Grathöhe (Pkt. 2.606m) in Richtung Seeblespitze zu gelangen.
Am Weg dorthin ging einem viel durch den Kopf. Beispielsweise kam dem Verfasser just kurz vor der Situation den Grat begehen zu müssen in den Sinn, man hätte als Vorbereitung vor der Tour seine eigenen Berichte mit Fotos vom Pfoner Kreuzjöchl ansehen können und erkunden können, wie die Grathöhe aussieht. Ernüchternd über seine eigene mäßige Vorbereitung hätte die Tour auf dem Grat enden können.
Umso erleichterter blickten wir am Hochpunkt des Gratkamms angekommen gen Nordosten wo sich ein milder Kamm mit einigen felsdurchsetzten Stellen bis zu einer uneinsehbaren Senke darbot. Diese wurde mit entsprechender Spannung angefahren und festgestellt, daß der Kamm weiterhin passabel zu befahren ist, allerdings mit einer Umfahrung auf härtest verdichteten Windgangln. Eine Holperpartie ersten Ranges, aber problemlos fahrbar.
Somit lag nur noch eine uneinsehbare und felsig aussehende Eintiefung vor uns und die Tatsache, daß Hilli hinter ihr bereits ohne Anzeichen von Wiederkehr oder Warnrufe verschwunden ist stimmte zuversichtlich, daß diese Hürde ebenfalls leicht genommen werden könnte.
Als er plötzlich in einer Scharte vor dem letzten Felszacken zum Sattel zur Seeblesspitze in der Ferne auftauchte wurde die Freude immer größer, daß der Gratkamm die erhoffte Passage sein würde. Allerdings präsentierte sich der Gratzacken am Weg vor ihm als eine schwerere Hürde als die Strecke bisher.
Abermals stieg die Spannung wie wir diesen letzten Felsriegel zur Seeblesspitze überwinden würden können, mit der Abstiegsseite als Unbekannte. Im Sommer wäre eine Prüfung dieser Art nicht einmal eine Kurzbeschreibung wert, im Winter schaut die Sache eines schmalen Gratabschnittes aber etwas anders aus, da gibt es Wechten und andere schneebedeckte Fallen ebenso, wie die Herausforderung mit den Schischuhen im Fels zurechtkommen zu müssen.
Glücklicherweise erwies sich der Aufstieg auf der felsigen Seite mit den Schi am Rucksack als relativ leicht. Der einzig anstrengende Zug bestand aus dem tiefen Schnee auf den Felsansatz hinüberzusteigen, der Übergang auf die Schneekuppe vor der Einsattelung zur Seeblespitze stellte keine Anforderungen an Kletterfertigkeiten, noch war er bemerkenswert ausgesetzt.
Zur Freude aller fanden wir schließlich einen angenehmen und leicht gangbaren nordseitigen Abstieg und in Summe entpuppte sich die gesamte Hürde als leicht, jedoch südseitig mit steiler Flanke (>>40°) in den Speikbichl abfallend, nordseitig leicht überwechtet und zu den Schuttreisen der Seeblesböden abbrechend.
Jenseits, in der Einsattelung, jauchzte das Herz, daß wir die erste Hürde so unproblematisch und doch leicht alpin erledigen konnten. Die schwerere Hürde wartete auf der Gegenseite, jedoch wussten wir das aufgrund des optischen Eindrucks am Grat noch nicht.
Hilli stürmte über den ersten Teil des Gipfelaufschwungs wieder einmal wie eine Bergziege voraus; eine Eigenschaft, die er immer dann zeigt, wenn sich Schnee und Fels die Hand geben und daher m u ß er mit dieser Spezies etwas gemein haben.
Zwischen den Felsblöcken legte er eine leichtfüßige Spur auf die nächste flachere Stelle vor und verschwand sodann nordseitig hinter den Felsen, als wär er in völliger Einheit mit dem Gelände. Abschließend winkte er uns von oben keck zu und verschwand am Gipfelplateau gerade als wir die flache Stelle überwanden.
Die direkte Route über die Gratfelsen wäre die Variante des Sommers gewesen, mitsamt dem Gepäck und den Schischuhen jedoch eine Variante, die man anhand der Fotos nicht so einfach glauben entscheiden zu sollen.
Also nahmen wir auch die Variante capra mons hilli und suchten die nordseitige Schattenseite auf, in der wir eine – seine – brauchbare schneegefüllte Rinne fanden, die uns über die etwa fünf bis sieben Meter hohe wirklich steile Passage brachte. Dies mit der Aussicht auf langes Abrutschen im Fehltrittsfall.
Der Rinne folgten wir nicht bis zum Ende, da die harte Oberfläche zu „grießigem“ Schnee durchbrach und bereits den Verfasser als Zweitbegeher nach Hilli schon nicht mehr ohne Einbrüche tragen konnte. Also querten wir an geeigneter Stelle etwa zwei Meter rechts auf den felsigen Gratbuckel hinaus, um dort ein einfacheres Steigen auf festem Fels zu erreichen.
Die Idee war soweit ein Fortschritt, jedoch von kurzer Dauer. Sobald sich zwischen den Felsplatten wieder Schnee befand war dieser zu härtestem Eis umgewandelt und ließ trotz energischem Stapfen kaum die vorstehende Lippe des Schischuhs eindringen. Auf schmalsten Leisten mußten wir so ein paar Meter zu besserem Terrain aufsteigen und unter aller Mühe mit der lästigen Eisplatte vergaßen wir hochzuschauen, sind uns aber sicher, daß uns eine Bergziege von oben beobachtete und ob unser Figur hämisch grinste.
Der großräumige Gipfelbereich gehörte an diesem Tag uns alleine und wird es wahrscheinlich den Winter über meist jedem, der sich über eine der Anstiegsrouten herauf müht. Ein schlichtes Gipfelkreuz mit beeindruckendem geschnitztem Antlitz Christi im Wetterschutz ziert das einfache Kreuz.
Mittlerweile, während der Gipfelrast auf „dem Seabelesspitz“ fiel uns plötzlich auf, daß der schneidende Wind nicht mehr zu spüren war und wahrscheinlich schon während des schönen Aufstiegs ab dem Grat nicht mehr – was wir aber im Abenteuer des Aufstiegs nicht merkten.
Nach dem durchaus alpinen und schneidigen, allerdings auch kurzen Aufstieg kann man zwar nicht von einer schöneren Aussicht vom Seabelesspitz als vom Pfoner Kreuzjöchl sprechen, aber von einer heißer erkämpften und daher vielleicht eindrucksvollerer – noch ein Stück weiter im Tal gelegen und nur mehr durch die Seespitze von der Grünbergspitze entfernt.
Während sich Scharen auf das Kreuzjöchl mühten konnten wir die möglichen Abfahrtsvarianten von der Seeblesspitze studieren. Jene ins Arztal liegt klar auf der Hand und folgt der Aufstiegsroute vom Arztal Hochleger, über den See in den Sattel zur Seespitze direkt unter dem Gipfelaufbau der Seeblesspitze.
Von diesem Sattel aus sollte es aber auch möglich sein über die beiden, im Kartenwerk sichtbaren, Seen unterhalb der Seeblesspitze abzufahren. Diese Variante wurde uns erst so richtig bewußt, als wir bei unserer Abfahrt von den „unteren Boden“ zur steilen Ausmuldung zwischen zwei nach unten zusammenlaufenden Felsrippen südöstlich unterhalb des Gipfelaufbaus der Seeblesspitze zurückblickten (siehe Beschriftung Bild). Der Hang könnte eine echte Alternative zur steindurchsetzten Abfahrt, die wir bald darauf antreten würden, darstellen.
Ein knappes halbes Stündchen entspanntem Verweilens am schönen Ort weckte allmählich das Interesse an der Erkundung der genauen Abfahrtsroute, wobei die Befahrung des oben sehr steilen Südwesthanges außer Frage stand, weil wir zurück in die Einsattelung am Grat wollten, die wir überschritten hatten.
Diese südwestgerichtete Flanke ist jene der Sonne am längsten zugewandte, eine sehr steile und weist selbst bei normaler Schneelage einen hohen Grad an stein- und felsdurchsetzten Flächen auf. Sobald wir die Rituale am Gipfel erledigt hatten machte sich schon einer auf die Abfahrt zu erkunden.
Prüfend stand Hilli am Rand des Gipfelplateaus und musterte die wenigen Meter, die von oben auf den steilen Hang einsehbar sind. Wer Neigungen einzuschätzen vermag, dem ist ein Begriff wie steil Hänge sind, die man nur auf den ersten Metern einsehen kann – da spricht man von gut 40° und mehr.
Als er sich mit einem Grinsen schweigend heraufwandte wussten wir, daß er eine schöne Passage gefunden hatte. Zufrieden damit machte er sich vorab auf die wenigen Schwünge, die zwischen den Untiefen überhaupt zu vollführen waren und querte dann fallend zur Einsattelung hinaus.
Die Fotos des Gipfelhangs entstanden aus dieser Position und man kann die wenigen durchgehenden Schneeflächen gut erkennen. Ein schifahrerisch nicht besonders erstrebenswerter Hang mit harscher Schmelzoberfläche, aber er muß eben genommen werden, um dann vom Sattel darunter bis ins Tal feines Schigelände vorzufinden.
Wie am Start eines Rennlaufes posierte die Truppe vor dem Schmankerlhang, der nun auf uns wartete. Flex erklärte sich zur Dokumentation von unten bereit und erhielt somit den Vorzug die erste Spur zu ziehen. Der Verfasser schloss als letzter, weil eine Pulverabfahrt für ihn nettes Beiwerk darstellt, aber nicht annähernd den Stellenwert des bergsteigerischen Erlebens des Aufstiegs erhält und er selbstverständlich auch mit der Randspur zufrieden ist.
Weil die Abfahrt wirklich schön war hier ein kleiner Live-Beitrag der Einweihung des Hanges, der in kleinen Portionen bis hinab zu den „unteren Bodn“ genossen wurde:
Zwei weitere Etappen folgten hinab zum Speikbichl und noch weitere zur Vögeleralm. Am Weg dorthin wurden wir auf die schöne Mulde zwischen den Felsrippen aufmerksam, die vom ostseitig gelegenen Hochkar unterhalb des Sattels aus dem Arztal herabzieht. Diese Abfahrtsvariante erschien uns erkundenswert und sinnvolles Ziel einer weiteren Begehung zu sein.
Voraus lag nun die malerische Vögeleralm, Idyll in unberührter, weißer Landschaft mit phantastischem Hintergrund. Das zeitlos statische daran kann kaum eingefangen werden, dennoch hier ein Versuch:
Ab der schönen Alm folgen etwa 200Hm in den Talkessel hinab, der, talauswärts und linkerhand vom Bach– an den letzten Alm- und Heuhütten vorbei – direkt in den steiler werdenden Waldhang überleitet. Die Abfahrt nach dem Waldstück endet bei der urigen Peeralm.
Am Weg dorthin fanden wir im steilen Teil des Talkessels Schneemäuler wie aus dem Lehrbuch vor, die wir von oben nicht gleich erkannten und kleinräumig aber rasch umfuhren.
Ohne die klassische Szene eines Sprungs vom Dach einer Hütte sollte die bärige Abfahrt in den Talkessel aber nicht enden und dreiviertel der Aktion gelang auch in klassischer Weise.
Das letzte Viertel sei auch enthüllt, da man auch über sich selber lachen können muß.
Flach geht es nach der Querung des Baches zum Waldstück hinaus.
Eine Schneise im Wald muß nicht groß gesucht werden, man findet sie rein instinktiv, oder kann vorhandenen Spuren folgen.
Sie enden alle an einem Weg, der direkt aus dem Wald hinaus auf eine freie Almfläche führt, an deren Fuß die Peeralm liegt, die wir als den krönenden Abschluß unserer Tour zur Einkehr unter Sonne auf der Terrasse aufsuchten.
Die bemühten Wirtsleute halten neben Frischgezapftem auch deftige Speisen bereit und der Besuch der Peeralm bleibt in Erinnerung.
Über den Almweg, im Winter Rodelbahn, fuhren wir zurück zum Parkplatz.
Rund 10km misst die schöne Runde an Länge, 1.170Hm zeichnete der Höhenmesser auf und mit allen Pausen betrug unsere Runde 5 Stunden.
Für den Aufstieg auf den Gipfelaufbau sind je nach Schneeverhältnissen auch Steigeisen ratsam und ohne etwas Erfahrung mit Aufstiegen in winterlichen Felsverhältnissen sollte dieser Hang nicht begangen werden. Für den nur am Schifahren Interessierten genügt die Überschreitung zur Einsattelung vor dem Gipfelaufbau mit Abfahrt aus diesem Sattel.
Mils, 29.12.2019