Nach Matrei im Wipptal gen Süden von der Bundestraße aus schon in voller Gestalt erkennbar thront der Wolfendorn als unübersehbare und formschöne Landmarke über der heutigen Staatsgrenze. Bekanntheit genießt die leicht zu begehende Felspyramide auch als Schitourenberg.
Wir haben wegen des – im heurigen Sommer so oft – an Wochenenden recht zweifelhaften Wetters spät die Entscheidung getroffen eine Bergtour zu unternehmen und weil der Süden des Landes begünstigt sein sollte, fiel die Wahl auf den äußersten Süden im heutigen politischen Sinne.
Falls die Rundtour vom Wolfendorn über Wildseespitze und Landshuterhütte möglich sei soll sie durchgeführt werden. Soweit der Plan.
Die jämmerlich kleinen Parkplätzchen um den einstigen Bahnhof Brennersee waren trotz zweifelhaftem Wetter alle voll belegt – wie muß das erst im Winter sein. Das Gelände des Bahnhofsplatzes darf auch nicht beparkt werden, ein Anachronismus, der auf die Traditionen des einstigen Kaiserreiches zurückzuführen ist, den die Bahnverwaltung in der Kaiserstadt liebevoll pflegt und sich lokale Gemeindevorsteher offenbar keinen Vorstoß getrauen, um in der Enge für das Volk sinnvolles zu erreichen.
Also parken wir in einer bergseitigen Einbuchtung der Straße über der Mauer neben der Autobahn. Platz genug vorhanden, auch kein Fahrverbot, allein ein abgestellter Schneepflug weist auf die Bedeutung des Platzes im Winter hin.
Unser Aufstieg begann um 11:45, eine sehr ungewöhnliche Zeit für uns, hervorgerufen durch ständiges Hadern um die Wetterentwicklung und auch durch die Anreise am Reisewochenende mit den Mautflüchtlingen.
Im Gelände des Steinbruches hält man sich nach Überschreiten der kleinen Brücke in einer Kehre linkerhand des Baches, der als südlichster im Wipptal nach Norden entwässert und Sill genannt wird. Der Steig beginnt etwas nass neben dem Bach und zum Leidwesen von Andi mit kräftigem und vor allem hohem Bewuchs durch Bergwiesenflora.
Der schimpfende Andi mußte die Feindberührung mit für ihn potentiell zeckengefährdetem Grünzeug über knapp 200Hm über sich ergehen lassen bis wir die weniger hoch bewachsenen Almwiesen vor der Griesbergalm auf 1.953m erreichten. Zecken attackierten in nicht, wie die Leibesvisite erbrachte, nass vom Regen des Vortages waren wir aber beide bis zu den Oberschenkeln.
Die Griesbergalm ist eine menschenleere kleine sympathische Alm ohne Vieh (darauf trifft man erst etwas höher), spendet aber über einen Brunnen Wasser für den weiteren Aufstieg.
Über das weite und wasserdurchzogene Kar geht es im Bogen weiter bis in südöstliche Richtung der Mäuerlscharte entgegen. Diese liegt auf 2.333m, bildet die Grenze zum Landesteil Südtirol und wir erreichten sie gegen 13:45 Uhr. Am Weg dorthin wurden wir von einem kecken Chefmarmot kräftig ausgepfiffen und selbst bei unserer Annäherung zwecks einer guten Fotoposition kam lange keinerlei Hektik zur Flucht auf.
Für uns etwas unlogisch führt der Steig überraschend weit in die Ostflanke des Gipfelaufbaues hinein, wir wären gerne schon eher – um nicht zu sagen am Grat – der Gipfelpyramide des Wolfendorn zugestrebt.
In etwa um 14 Uhr erreichten wir einen sehr breit angelegten Weg der sich von der Postalm heraufzuziehen scheint. Er führt weiter zum Sattel bei dem es für uns wiederum unlogisch erschien, den gesamten Gipfelaufbau in der Südostflanke zu umgehen, um dann auf der Südseite, 180° entgegensetzt der Mäuerlscharte, die Gifelpyramide in Angriff zu nehmen. Diese sozusagen „Halbumrundung“ des Gipfels soll man vom Zeitaufwand her nicht unterschätzen 15min muß dafür mit Sicherheit aufgewendet werden.
Den Umstand dieser etwas sonderbaren Wegführung kann man sich nur mit der sinnlosen und von der Verwaltung im weit entfernten Latium blutleer betriebenen Errichtung des Vallo Alpino erklären; dafür hat man breite und nicht zu steile Wege gebraucht und noch teilweise erhaltene Reste davon ziehen sich fast bis in Gipfelhöhe. Wir erreichten den Gipfel nach nicht ganz 2 1/2 Stunden ab dem Parkplatz.
Die Aussicht auf dem unspektakulären, freistehenden Gipfel des Wolfendorns bleibt wegen der umfassenden Präsentation jedes einzelnen Gebirgsstockes im Umkreis lange im Gedächtnis haften.
Der Gratkette nach Nordosten folgend konnten wir trotz tiefer Bewölkung und Nebel an diesem Tag jeweils kurz einige große Gipfel des Tuxer Hauptkammes einsehen, im Nordwesten war leider nur kurz der Hochferner nebelbefreit.
Im Süden dafür bessere Sicht, die Pfunderer Berge mit der Wilden Kreuzspitze und undeutlich erkennbar tief im Süden einige markante Erhebungen in den Dolomiten.
Südwestlich der endende Tuxer Hauptkamm mit der Rollspitze (mit 2.800m um wenige Meter höher als der Wolfendorn) und der – wegen der Seilbahn – besser bekannten Amthorspitze, dahinter, weiter südwestlich die Ortlergruppe, jedoch nur noch als dunkel in den Nebel eintauchende Bergmasse zu sehen.
Weiter im Westen ein besserer Blick zu den südlichen Gipfeln der Stubaier, im Vordergrund die Tribulaune, dahinter, links davon, die Feuersteingipfel.
Im Norden das Wipptal mit den seitlich stetig ansteigenden Rücken der Stubaier und Tuxer und mittig die breite Front des Karwendel. Ein wahrhaft tolles Panorama, auch wenn durch Feuchtigkeit der vergangenen Tage einigermaßen getrübt.
Selbst der geologisch nicht interessierte Bergsteiger wird am Aufstieg die buchseitenähnlich dünnen Plattenkalke auf der Ostseite des Wolfendorns entdeckt haben. Unübersehbar zieren diese Papierbündel gleichen Felsbruchstücke den Bergrücken. Das ist aber noch nicht alles.
Wesentlich interessanter als der Aufstieg zum Wolfendorn ist der Grat nach Nordosten in Richtung zur Landshuterhütte. Obwohl kalt und windig und eigentlich instabil wagten wir die Gratüberschreitung, für die am Wegweiser am Fuße des Gipfelaufbaues 2 1/2 Stunden angeschrieben stehen und für die wir 1 1/2 Stunden benötigten.
Aus ganz anders gebildetem Kalk als die am Aufstieg so markant geschichteten Plattenkalke besteht der Gipfelaufbau des Wolfendorns und sein erster östlicher Gratverlauf selber. Er besteht in einer Mächtigkeit von 90m aus Hochstegenmarmor. Dieses Gestein bildet – wie Kalke im Allgemeinen – beeindruckend hohe, senkrechte Felswände mit großblockiger Struktur und gewaltigen Vertikalrissen, ebenso entstehen flache bis mittelschräge Bänder über Dutzende Meter von erstaunlicher geometrischer Gleichartigkeit. In einer solch einprägenden, phantastischen Topographie begeht man die ersten paar Hundert Meter ab dem Wegweiser zur Landshuterhütte.
Nicht genug der Wechselhaftigkeit der Geologie, es treten in der Folge am Grat auch noch weitere unerwartete Schönheiten auf. Einige Gehminuten nach dem Abklingen des Gipfelaufbaues mit den weißlich bis dunkelgelben Marmorfelsen findet sich der Grat mit einem tiefen Riss über geschätzt 40 bis 50Hm wieder. Der Fels dort reiner Kalk, nicht zu Marmor umgewandelt. Der Steig zur Hütte führt unweigerlich hinab in den Riss und am Ende des dadurch gebildeten „Canyons“ reißt der Grat in Querrichtung nochmals an die 50Hm ab, bis eine Scharte mit Gegenanstieg – nun wieder im Hochstegenmarmor – die Gratlinie in etwa in ihrer vorherigen Höhe wieder verbindet. Allein diese Abfolge an Natur haucht die Überschreitung genügend Reiz ein, sie vollzogen haben zu müssen.
Zur besseren Verdeutlichung der Vielfalt und Schönheit des Gesteines dieses leichten Grates erlaubt sich der Verfasser einen Auszug einer interessanten geologischen Arbeit ungefragt – aber jedenfalls mit großem Dank – als Leihgabe hier zu verlinken. Demjenigen unter den Lesern, der Gefallen am Erforschen der Geologie in diesem Gebiet findet und der sich einer Wissensanreicherung kaum entziehen kann, sei empfohlen die Suchmaschine mit den Begriffen „Wolfendorndecke, Hochstegenmarmor“ zu füttern und er erhält Literatur zuhauf, dem Leser, der darin nicht weiter interessiert ist, sei der Link mit seinen verschiedenen Mustern und der erklärenden Legende lediglich ein Hinweis, daß nicht alle Katzen grau sind (oder alle Felsen gleich).
Zu diesem beeindruckenden Intermezzo von Natur kommt noch die ebenfalls beeindruckende und im Verfallen begriffene Arbeit des kleinen Menschen dazu. Wie oben erwähnt versuchte man von mediterranem Orte aus, mit fehlendem Einfühlungsvermögen für alpine Erfordernisse ein militärisches Projekt, das von seiner Geburtsstunde bereits zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, hätte es jemals seine Wirkung zeigen sollen.
Relikte davon sind befahrbare Wege, die man angelegt hat um schweres Gerät zu strategischen Orten zu schaffen und ein solcher befestigter Weg befindet sich in der Abrissflanke des zuvor beschriebenen Grates. Er ist noch teilweise erhalten und in gewisser Weise beeindruckt seine Konstruktion im Schutthang, der, wie man als Alpinist weiß, mit stetigem Druck von oben behaftet ist und in den man auf Dauer nicht gründen kann. Die Römer wussten dies bereits.
Es geht weiter am lehrreichen Grat, bzw. meist unterhalb der Gratschneide auf angenehmem, dem Nordwind abgewandtem Steig und erreichen ein Band, das von weitem zunächst aussieht wie ein eine Schneise in der der Schnee in Gratnähe liegengeblieben ist.
Bei der Annäherung erkennen wir, daß es sich um ein selten breites Quarzband handelt. Eine Zone in Gratnähe von Südwest bis Nordost, die zwar bereits recht zerfallen, so doch eindeutig nachverfolgbar ein massiv ausgeprägtes Band von Quarzanhäufung zeigt.
Nach diesem Teil folgt ein leicht ansteigender Schnapper auf ein Plateau mit einem Wegweiser, bevor der Steig wieder leicht abwärts in den nächsten Sattel führt, der den Aufstieg zur Wildseespitze bildet. Durch dichten Nebel konnten wir nicht erkennen, ob dieses Plateau eine besondere Landmarke darstellt, vermutlich handelt es sich aber nur um den in der AV-Karte eingetragenen Punkt 2.600m mit einem abzweigenden Steig zur Südtiroler Grubbergalm.
Von hier erreichten wir die Wildseespitze in 15min. Sie zu umgehen würde bedeuten auf einen guten Aussichtspunkt am Grat zu verzichten, wie wir später feststellten. Zunächst aber hatten wir, bis auf den luftigen Nordabbruch des Gipfels, wegen Nebels keinen Ausblick.
Nach dem Gipfel der Wildseespitze folgt am Grat eine kurze seilgesicherte Strecke im Fels, die jedoch leicht zu begehen ist und der Sicherung kaum bedarf. Nach einigen Minuten Abstieg befindet man sich mitten in einem Trümmerfeld wieder am Normalsteig zur Landshuterhütte.
Der Nebel hatte sich wieder verzogen und gab den Blick zum kleinen Bergsee nördlich unterhalb der Landshuterhütte frei. Den Wildsee, Namensgeber der Wildseespitze konnten wir zuvor im dichten Nebel leider nicht erblicken.
Die letzte halbe Stunde bis zur Hütte lichtete sich der Nebel noch weiter, sodaß wir den Gipfelaufbau des Hochferners ausmachen konnten, jedoch verzog er sich nicht weit genug, um den Hochfeiler, den höchsten Zillertaler Gipfel, sehen zu können.
Auf der Hütte, die wir um 17 Uhr spät erreichten, war die warme Gaststube nicht unwillkommen und in aller Schnelle nahmen wir ein Süppchen ein, da wir den Rückweg über Venn mit 1 1/2 Stunden einschätzten. Mit dieser Schätzung sollten wir – allerdings nicht im Normalgeschwindigkeitsmarsch – um gut 40min zu wenig angesetzt haben, wie sich später herausstellte.
Am Abstieg von der Hütte wurde noch die Wasserversorgung derselben sichtbar. Eine ausgiebige Quelle, vom breiten Rücken zum Kraxentrager herab, wird gefaßt und mittels eines Dieselaggregates mit Pumpe müssen schätzungsweise 120Hm bis zur Hütte überwunden werden. Der PE-Schlauch mit geschätzt 1/2″ Durchmesser muß einen recht hohen Widerstand haben sodaß hier Drücke von 15 bar und wahrscheinlich mehr herrschen. Die Fördermenge dürfte leidlich klein sind, sodaß der Hüttenwirt oder sein Knecht täglich wahrscheinlich ein paar Stunden dort zubringen müssen.
Ein letzter Rückblick auf den Hochtalkessel an dessen Ostende am Grat die Landshuterhütte errichtet ist und an dessen Westende die Wildseespitze nun nebelfrei bewundert werden kann war uns an der Kuppe möglich, die die nächste Steilstufe hinab in das Almgebiet der Venner Alm einleitet.
Der Steig hinab zur südlichen Bergflanke der Alm, über die sich der Abstieg seitlich der nächsten Steilstufe vollzieht ist lang und kreuzt etliche Wasserläufe. Im netten Lärchenwald am unteren Ende des Almgeländes entspringt die Antonienquelle orografisch links.
Es folgt ein teilweise recht steiler Abstieg auf, wo feucht, einigermaßen schmierigem Untergrund und, im unteren Teil, die größten Himbeerhänge mit überreifen Beeren zu beiden Seiten des Weges. In diesen brachten wir natürlich auch noch eine Minipause zu.
Gegen 19:30 erreichten wir den Talboden und blickten auf die mächtige Steilstufe zurück. In dieser befindet sich ein schmales Band mit wenig Staudenbewuchs, das im Winter als Abfahrtsgelände benutzt wird, wenn es die Verhältnisse erlauben.
Etwas dem Talboden erhöht, auf ca. 1.560m, befindet sich orografisch rechts im Tal ein 1984 aufgelassener Steinbruch, was auch den Fahrweg erklärt, die sich in ein paar Serpentinen hinaufzieht, bevor er weiter unverfolgbar wird bzw. am oberen Ende des ehemaligen Abbaus endet. Man baute dort gute Qualitäten von plattigem, feinkörnigem Gneis aber auch Hochstegenmarmor ab.
Der nun recht flache Schotterweg über den Weiler Venn hinaus nimmt noch eine halbe Stunde in Anspruch und wegen der fortgeschrittenen Stunde sahen wir von einer Einkehr in der Jausenstation ab.
Um 20 Uhr erreichten wir nach einer phantastischen Rundtour in Granitgneis und Kalkmarmor den Parkplatz wieder.
Die Messung auf der AV-Karte zeigt eine Weglänge von rd. 18km, die zurückgelegte Höhe haben wir mit der Uhr nicht gemessen, sie dürfte nachgerechnet bei ca. 1.650m liegen und die Gesamtzeit für die Rundtour betrug 8 1/4 Stunden.
Mils, 20.08.2017