Alpinistisch reizvoll und im Schlussteil nicht mehr ganz so einfach präsentiert sich die Schitour auf den Gleirscher Fernerkogel generell und über die Rosskarscharte angestiegen, kommt man gleich zweimal in den Genuß von Steilaufstiegen im und knapp über dem 40° Bereich.
Die Tour von Lüsens aus entbehrt dem langen Normalaufstieg durch das schöne Gleirschtal bei genauer Vermessung nur wenig, auch der Höhenunterschied im Vergleich zum Startpunkt St. Sigmund steht dieser Variante nur kaum nach. Mehr dazu am Ende dieses Berichtes.
Da für diese Variante auf den Gleirscher Fernerkogel zwei Fahrzeuge vonnöten sind eignet sich als Treffpunkt der große Parkplatz in St. Sigmund und nach eiligem Umladen benötigt man für die Fahrt eine Etage höher (ja, etwa 120m höher!) nach Lüsens weitere 20min.
Um sieben Uhr am Parkplatz in Lüsens gestartet sind wir Mitte April gerade noch nicht zu spät unterwegs, allerdings auch nicht zu früh, denn die südlich ausgerichtete Steilflanke auf die Rosskarscharte muß ja nicht im gefrorenen Firn begangen werden und je nach Sonneneinstrahlung sollte die Schneedecke bei der Ankunft gegen 10 Uhr genau den richtigen Zustand haben.
Der Anstieg in das Längental führt nach dem Holzhaus (Jugendheim in der AV-Karte) am Talende über die Längentaler Alm zum Westfalenhaus. Bei unserer Begehung gut gefroren, verlangte diese Stufe fast schon Harscheisen.
Vorbei an der Alm erreichten wir den Anstieg zum Westfalenhaus noch in völligem Schatten und erst am Hang hinauf, bei den ersten Schneestangen, tauchten wir endlich in Sonnenlicht, etwa 50Hm unterhalb der Hütte.
In Blickrichtung Hoher Seeblaskogel und Längentaler Weißer Kogel herrschte einiger Andrang bei dem prächtigen Frühjahrswetter. Aber auch in unsere Richtung, auf das Winnebachjoch sollten wir ab der Hütte einige Gesellschaft bekommen, da dort gegen 8:45 Uhr Aufbruchsstimmung von der Hütte angesagt war.
Die Schneeschuhwanderer machten sich auf in Richtung Schöntalspitze, die Tourengeher in unsere Richtung auf das Winnebachjoch.
Das Tal zum Winnebachjoch zieht sich mit moderaten Stufen über zweieinhalb Kilometer und 500hm vom Westfalenhaus Richtung Westen und stellt den Übergang ins Ötztal dar. Gegen sein Ende hin bildet es einen beeindruckend geformten Kessel, der mit einer einzigen Spitzkehre auf das Joch überwunden wird.
Der Ausblick vom Winnebachjoch ist beengt, zwischen der Flanke vom Westlichen Seeblaskogel und der gegenüberliegenden Erhebung des Gänsekragens lugt die Hohe Geige durch, über der dem Gänsekragen anschließenden Gratkette zur Wantlasscharte ragen Gamezkogel, Rofelewand und Gsallkopf durch, erstere in 16,5km, letzere Gipfel in 21km Entfernung. Ganz rechts (fast westlich) erhebt sich der massive Breite Grießkogel.
Seit dem allseits reflektierenden Becken vor dem Winnebachjoch und dem fortgeschrittenen Vormittag machten uns Temperatur und Strahlung einigermaßen zu schaffen, beim weiteren Anstieg über die Südhänge zum Winnebacher Weißkogel umso mehr.
Der Schnee wurde im stumpfen Winkel zum Sonnenstand stellenweise richtig sulzig und erschwerte die letzten 200m Aufstieg zu den ersten unteren Schrofen an der Felslinie zur Rosskarscharte unerhört. Als Lohn dafür wird am Weg zur Scharte der Blick zur Wildspitze in 30km Entfernung frei.
Recht genau auf 3.000m begann in unserem Fall der Aufstieg zur Rosskarscharte mit den Schi am Rucksack und in vorhandenen Stapfen. Abgesehen von den ersten Schritten an der Felslinie, die wie immer einen Einbruch bis zur Hüfte hervorriefen und ein paar mühevolle Meter bedeuten, befand sich der Schnee auf der sonnenexponierten Flanke noch recht gut in Schuss für den späten Vormittag, an dem wir sie erreichten.
Der Aufstieg durch die Felsen führt über ca. 60m zur Rosskarscharte hinauf. Im letzten Drittel ragte eine recht jung angebrachte Seilsicherung aus dem Schnee und ihr Verlauf bis zur Scharte – in einer völlig schneefreien Felsverschneidung gelegen – erscheint jedoch für die Winterbegehung mit Tourenschuhen wesentlich weniger geeignet als linkerhand weiter durch eine schneegefüllt Rinne mit Stapfen. Die Scharte wird somit etwa 10m links der Seilsicherung erreicht.
Man soll den Zeitaufwand für den Anstieg bis auf die Rosskarscharte nicht unterschätzen. Hatten wir mit drei Stunden gerechnet wurden es dann fast vier. Ohne viel Aufenthalt fellten wir auf geräumigem Platz ab, um die kurze Abfahrt zur nächsten Steilflanke oberhalb des Gleierschfernerbeckens in Angriff zu nehmen.
Nach Messung auf der Uhr betrug die Abfahrt 75Hm und zugunsten des Schibelages man tut gut daran einige Meter zu „verschenken“ indem man – anders als der Autor – bei nicht weniger als drei Metern Abstand zu den Felsriffen, in der mitunter tückisch dünnen Schneeauflage keine Schrammen mit nach Hause nimmt.
Zwischen einem markanten Felskopf und der unteren Begrenzung der Felsen endet die Querfahrt von der Rosskarscharte, es hieß erneut Schi auf den Rucksack und stapfen.
Der Aufstieg über die Steilstufe ist im oberen Bereich noch etwas steiler als jener zuvor und erreicht mehr als 40° Neigung. Wir nahmen ihn etwa mittig wobei die Stapfen durch die Abfahrt einer Gruppe zuvor zum Teil nicht sichtbar waren und wir eigene Stapftritte anlegten. Trotz der Mittagsstunde konnte der Hang einwandfrei begangen werden, ohne zu tief einzusinken.
Ein Rutscher durch schlampiges Stapfen hätte weitreichende Auswirkungen. Im Gegensatz zur Rosskarscharte sind im Steilhang zum Gleirscher Fernerkogel keine Felsen eingestreut, die einen tiefen Sturz verhinderten. Bei harten Verhältnissen wären beide Steilaufsteige nur mit Steigeisen zu empfehlen, unsere jedoch durften sich unbenutzt eines Ausfluges im Rucksack erfreuen.
Ein letztes Auffellen wird für den steilen Gipfelaufbau erforderlich. Der Sonnenbestrahlung am Vormittag weitgehend abgewandt, bzw. in sehr spitzem Winkel zur Sonneneinstrahlung gelegen bot der Gipfelhang sogar fast Pulverschneeverhältnisse.
Allerdings, bei weit über 35° Hangneigung und einer durch eher Abrutschende als -fahrende vielerorts bis auf den harten Untergrund weggerutschter Spur ist der Aufstieg über die 135m hohe Flanke auch kein großes Vergnügen. Nachdem die Schneeverhältnisse entsprechend weich waren und die weggerutschten Teile der Spur mittels einschlagen der Kanten so lala bewältigt werden konnten kam der alternative Stapfaufstieg gar nicht in Erwägung. Eine knappe halbe Stunde nahm der Nervenkitzel des Gipfelhangs trotzdem in Anspruch.
Die Mühen bis zum aussichtsreichen Gipfel des Gleirscher Fernerkogels mit der kunstvollen Zier einer „Alpinplastik“ mit Mini-Gipfelkreuz waren bewältigt und der Eindruck am Gipfel phänomenal. Hat man den kunstvollen Gipfelschmuck mit faradayschem Käfig zum Schutze des Pickels ausreichend in Augenschein genommen, bezaubert der Blick in alle Richtungen.
Am gewaltigsten ist der Blick von Südost nach West.
In nächster Nähe im Süden der Winnebacher Weißkogel mit seiner tollen Flanke und links davon fast in einer Linie Hoher Seeblaskogel, Längentaler Weißer Kogel und der mächtige Schrankogel, rechts davon die Wilde Leck und gleich daneben in 39km Entfernung die Hohe Wilde sowie der Weißkugel und zahlreiche weitere tolle Dreitausender bis rechts im Bild die Wildspitze mit ihrem großflächigen Massiv auftaucNicht minder imposant der Blick über das lange Zwieselbachtal und weiter im Norden der Hochreichkopf und der mächtige Acherkogel.
Beim Blick nach Norden stellt sich die Frage, ob die Abfahrt zur Südlichen Sonnenwand nicht möglich sei – Berichten zufolge soll das so sein und wird Thema einer künftigen Erkundung.
Die Aussicht auf den Kleinen Kaserer und den Olperer gen Osten streift fast die Hohe Villerspitze im Vordergrund leicht links davon.
Die Abfahrt über die Gipfelflanke beschert einen bleibenden Eindruck. Meint man zuerst, daß die gute Schneequalität eine flüssige Fahrt zuläßt wird man bei den ersten zwei Schwüngen durch die rapide zunehmende Geschwindigkeit freiwillig etwas vorsichtiger im Ansatz des Bogenradius. Ja fast um einen Hupfer ist man bemüht, um den Radius klein zu halten. In Summe aber selbst in dem sehr zerfurchten und noch recht weichen Schnee ein tolles und kraftzehrendes Erlebnis.
Vor der nachfolgenden Steilstufe verebbt die Kommunikation auf das Wesentliche, gilt es doch einen aufgeweichten Steilhang mit Stellen jenseits von 40° zu fahren. Schließlich ist nicht jeder ist ein Luggi, der solche Übungen tagtäglich macht und es handelt sich nicht um eine präparierte Piste deren Konsistenz gleichförmig ist. Dichteunterschiede in den abgerutschten Schichten erfordern höchste Konzentration und blitzartige Reaktionen.
Mit Routine und Gefühl gelingt jedoch die Rutschfahrt über die 60m bis zur individuell gewohnten Neigung in der man sich auf Schi noch wohlfühlt und gleichzeitig zu fotografieren vermag.
Am Ende der Steilrinne fällt mit einem Mal die schöne Last der Tour ab und Vorfreude über eine nahezu 12km lange und landschaftlich unvergessliche Ausfahrt macht sich breit.
Setzt man die Ausfahrt so weit wie möglich links im Tal an und vergeudet man kaum Höhenmeter durch einen Mix aus moderater Geschwindigkeit und Höhenerhalt mit wenigen kurzen Schiebestrecken, dann erreicht man ohne große Anstrengung über die „Samerschläge“ die Pforzheimer Hütte.
Freilich muß dieser Zwischenstopp nach dem grandiosen Erlebnis unbedingt sein – zwei leicht verständliche Gründe bestehen darauf: der Flüssigkeitsbedarf zum einen und die notwendige mentale Verarbeitung des Zugewinns an höchst positivem Erlebnis an Ort und Stelle zum anderen. Beides im Verein lädt den Autor für viele Tage auf wie nichts anderes auf der Welt es vermag, die Maximaldosis Natur eben.
Abschließend durften wir eine wunderschöne lange und leichte Ausfahrt genießen und weil der außergewöhnliche Tag noch andauerte gab es einen zweiten Stopp mit Knödelsuppe in der netten Gleirschalm bevor wir die letzten Teilabfahrten bis knapp vor die Brücke über den Gleirschbach antraten und nach kurzer Tragestrecke das Relaisfahrzeug erreichten, um das zweite Fahrzeug in Lüsens abzuholen.
Die Schitour auf den Gleirscher Fernerkogel von Lüsens aus ist um knapp drei Kilometer kürzer als die Normalbegehung von St. Sigmund aus und beinhaltet lediglich um 50Hm weniger Aufstiegshöhe. Vom Zeitbedarf her ist sie eher länger einzustufen, bedingt durch mehrfaches Rüsten über die Rosskarscharte. Insofern ist sie keine wirklich kürzere Alternative, sondern eine eigenständige Tour.
Sie ist ebenfalls keine Alternative zur Übernachtung in der Pforzheimerhütte – auch wenn es auf der Karte so aussieht -, da dieser Aufstieg nur knappe 900Hm beträgt.
Der Charme der Tour liegt in der Übersteigung der Rosskarscharte und dem Erlebnis einer „Runde“ unter Vermeidung wiederkehrender Eindrücke.
Steigeisen unbedingt und je nach zu erwartender Schneebeschaffenheit Pickel mitzunehmen.
Der gesamte geodätische Aufstieg beträgt 1.627Hm, der Abstieg (Abfahrt) 1.747m. Wir haben für die reine Tour mit allen Pausen 7:30 Stunden bis zur Gleirschalm benötigt, in Summe vom Parkplatz St. Sigmund bis wieder nach Lüsens mit der letzten Pause auf der Gleirschalm 9:17 Stunden. Die Streckenlänge beträgt knapp 22km.
Mils, 21.04.2019