Am Ende der Wettersteinwand, des östlichen Teils des Hauptkamms, sinkt der Gebirgszug über die Untere und Obere Wettersteinspitze gegen Mittenwald hin ab. Vom Franzosensteig aus erfolgt der Anstieg zum aussichtsreichen Gipfelaufbau der Unteren Wettersteinspitze und die Hauptprüfung der bärigen Überschreitung liegt gleich am Einstieg in die Schlucht, die den Berg scheinbar spaltet.
Der Aufstieg vom geschichtsträchtigen Franzosensteig bis zur Schotterreise unterhalb des Gipfelaufbaues gestaltet sich leicht knifflig, wenn man ihn zum ersten Mal erkundet. Er ist kaum markiert und dort wo er markiert ist muß man die grünen Punkte auf den Steinflächen entdecken, sie stechen nicht ins Auge.
Hierzu siehe den Bericht des ersten Versuches der Unteren Wettersteinspitze auf diesem Blog. Bei der zweiten Begehung – obwohl nach drei Jahren – konnten wir den teilweise kaum sichtbaren Steig auf Anhieb wieder finden. Um diesen Bericht kurz zu halten verweist der Autor auf die Verlinkung oben und beginnt mit dem Anstieg ab der Jagdhütte.
Nach dem phantastischen Blick ins untere Leutaschtal und dem Aufstieg durch die Latschen öffnet sich eine kleine Senke, durch die am linken (südlichen) Rand der mühsamen Schotterreise aus der Schlucht herab auf festem Terrain angestiegen werden kann.
Am Felssaum in der Schlucht – an der bronzenen Erinnerungstafel folgt der Einstieg in den Fels. Die ersten Höhenmeter stiegen wir entlang der sich abzeichnenden Kluft, die kleine Wieseninseln beherbergt, schräg querend auf die Verschneidung mit der nördlichen Schluchtbegrenzung hin aufgestiegen.
Dort gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine, die Evi genommen hat, führt durch die schräge Verschneidung auf recht glattem, griffarmen Fels zur Linken und bedingt eine schmale Statur. Sie ist durch ihre Schrägstellung nicht sehr bequem. Die andere Variante, die Andi und der Autor genommen haben, führt links der ersten Variante geradewegs über recht glatten Fels auf die nächste Stufe.
Hierbei erwies sich wieder einmal die enorme Reichweite von Andi als Vorteil, wo hingegen der Autor im Nachgang diesen etwa 10 m hohen Abschnitt als die schwierigste Stelle der gesamten Überschreitung in Erinnerung trägt.
Schwierig erscheint die Wandstufe nicht hinsichtlich der Kletterei, jedoch durch die von vielen Murgängen glatt geschliffener Wandfläche, die miserable Griffe und miserablere Tritte bietet. Möglicherweise gibt es links (südlich) in der Schlucht eine leichtere Variante.
Die nachkommende Zweiergruppe, die am Einstieg noch weiter entfernt war, kam uns bei dieser Wandstufe recht nahe. Anschließend folgt ein leichterer und weniger steiler Teil, ohne Kletterei zu begehen, bevor eine Engstelle durchklettert werden muß.
Die Engstelle kann, wie, bis auf den Einstieg, eigentlich alle Passagen in der Schlucht, als mäßig schwierig beschrieben werden und zwar am Beginn von mäßiger Schwierigkeit. Nach ihr drängt die rechte Schluchtbegrenzung durch Überhang in die linke Seite, die bequeme Bänder bietet, um in dieser Flanke aufzusteigen.
Besonders in diesem Abschnitt werden schuttbeladene Felsflächen durchschritten, in denen Steinschlag nahezu unvermeidlich ist. Trotzdem der Steinschlag in der Schluchtverschneidung landet und keine großen Strecken zurücklegt sollte man für die Tour einen Helm mitnehmen. Die Enge der Schlucht und die überraschend zahlreiche Begehung an diesem Tag erzwingen ihn ebenfalls und man möge sich anhand unserer Bilder kein Beispiel nehmen.
Über weitere leichte Wandstufen stiegen wir auf eine Verzweigung zu, bei der die Wahlmöglichkeit zwischen links und rechts besteht. Wir entschieden uns für den engen und steileren Ast der Schlucht und kletterten rechts weiter.
Links führt die Route auf plattig aussehendem Fels unterhalb des senkrecht nach oben aufsteigenden Vorkopfes zum Süd- oder besser Südostgrat empor. Die linke Variante führt rascher zum Grat und somit schneller in die Sonne, was im Herbst von Vorteil sein kann. Die echte Variante durch die enge Schlucht ist klettertechnisch interessanter. Etwa 50 Hm weiter oben treffen beide Aufstiegsvarianten am Grat zusammen.
Die schmale Passage in der Schlucht ist gekennzeichnet durch große und fest verkeilte Blöcke, an denen jede Menge Griffe und Tritte einen freudvollen Aufstieg bieten. Zu Beginn sehr eng weitet sich die Schlucht oben zum klassischen Trichtergelände hin auf, in dem die Kletterei endet und über wiesendurchsetzte Schrofen auf den Ausstieg zum Grat gestiegen wird.
Wir durchstiegen den Großteil der Schlucht einzeln, um möglichem Steinschlag vorzubeugen, der glücklicherweise ausblieb. Die sonnige Stelle an der Verzweigung erleichterte die Wartezeit zwischen unseren Aufstiegen.
Am Grat angekommen erfreut das Herz die wärmende Beleuchtung und der Blick nach oben zeigt die Nähe zum Gipfel, der über leichtes Gelände erreicht wird. Die Beschreibung des AV-Führers: „…und gelangt auf dem vom Gipfel südlich streichenden Grat. Auf ihm westl. in wenigen Minuten zum Gipfel.“ 1
Hierzu ist zu sagen, daß man das bei der Erstbegehung selbst als Gipfelstürmer nicht hinbringen wird, denn, selbst wenn die Mulde westlich verfolgt wird, man sich ein wenig orientieren muß und nicht in Wettkampfgeschwindigkeit aufsteigen wird. Oben am Grat sieht man das Gipfelkreuz immer noch nicht und wir verfolgten instinktiv den Grat nach Osten und erblickten es erst auf der Grathöhe.
Im Rückblick kann eine Aufstiegsvariante über den Südgrat ausgemacht werden. Hierzu würde man am Ende der Schlucht westlich gegen die Mulde aufsteigen und nach Weitung des Beckens nicht westlich sondern nordöstlich abbiegen. Entweder im Trichter oder am Grat müßte man ohne Umweg ebenso das Gipfelkreuz erreichen.
Am Ende des Wettersteingrates gelegen bietet die Untere Wettersteinspitze trotz ihrer von nur 2.151 m Höhe einen phantastischen Rundumblick auf das Alpenvorland in Bayern sowie vom Westen ins Karwendel.
Letzerer Blick auf die Nördliche Karwendelkette erinnert an herrliche Bergtouren wie die Überschreitungen am Mittenwalder Höhenweg, die schöne Kletterei auf die Tiefkarspitze, den Südaufstieg zum Hohen Wörner, die Begehung der Larchetfleckspitzen über das einsame Kirchlkar oder den Endpunkt von Soiernspitze und Seinskopf auf der Karwendeldurchquerung von Süd nach Nord.
Bei der Gipfelrast beobachteten wir die Gruppen, die vor uns auf die Untere Wettersteinspitze aufgestiegen sind und denen wir nach der Schlucht in der Mulde zum Grat nahe gekommen sind, bei der Überschreitung zur Oberen Wettersteinspitze.
Man kann sich vorstellen, daß bei bestem Wetter, sonnenbeschienener Gratzacken und einer recht kurzen Strecke sich sofort die Idee in die Hinterköpfe einschlich, nicht die dunkle und zum Abstieg unansehnliche Schluchtstrecke von der Unteren Wettersteinspitze hinab anzutreten, sondern lieber einen Abstieg am Normalsteig, den die Obere Wettersteinspitze bietet.
Die Gruppe vor uns kam recht schnell weiter und durch das Fernglas betrachtet erschien der Grat schöne Passagen zu bieten. Am Ende siegte die Magie des Grates mit der herrlichen Ausprägung der Oberen Wettersteinspitze am Hochpunkt. Der Evi wurde kein Stimmrecht erteilt und flugs befanden wir uns am Grat zur Oberen Wettersteinspitze.
Überschreitung zur Oberen Wettersteinspitze
Zunächst, über die ersten Zacken nach der Mulde, die den letzten Aufstieg aus der Schlucht darstellt, führen die niederen Zacken etwas Auf und Ab am nahezu horizontal verlaufenden Grat. Nach einer knappen Viertelstunde trafen wir auf eine scharfe Gratstelle mit einigen schlanken und hohen Zacken, deren Oberseite wir nicht ohne Sicherung begehbar einstuften.
Die Nordseite war vom Grat aus durch eine leichte Linkswendung, die der Grat dort beschreibt, nicht einsehbar und der erste Blick über die glatten Felsen hinab bestärkte uns in der Wahl des leider tiefen Abstiegs in die Südseite.
Geschätzte 50 Hm führten uns zum Fuß des mächtigsten Gratzackens, auf Schrofengelände zum Wiederaufstieg auf eine schmale Scharte, vielmehr auf das Wiesenband zum weiteren Gratverlauf.
Da sich der Abstieg sehr brüchig zeigte und Evi in solchem Gelände nicht die Erfahrung hatte, ließen wir uns Zeit und bewältigten die Strecke bis zum Wiedererreichen des Grates in einer knappen halben Stunde. Der Aufstieg auf der Gegenseite ist leicht, die Steilheit jedoch trieb den Verfasser zu einer Verschnaufpause, während die beiden jungen Leute wie die Gemsen emporsprangen.
Am Tiefpunkt erblickten wir ein Steinmandl, das den Beweis erbrachte mit dem Abstieg keine exotische Exkursion unternommen zu haben. Ganz offensichtlich dürfte die Nordseite daher keine Alternative bilden und die direkte Gratbegehung im Rückblick als mindestens sehr schwierig und ohne Sicherung nicht begehbar sein.
Mit dieser unangenehmen Passage sind dieselben auch schon abgeschlossen. Es folgen Abschnitte in festem Fels und der noch anzutreffende letzte Abstieg in brüchigem Gelände ist kurz. In der Folge trafen wir auf den schönsten Abschnitt am Grat, der auch eine kurze aber schöne Kletterpassage bereithält.
Erneut muß ein Schartenbereich abgestiegen werden. Diesmal beginnend leicht in der Nordseite in einer Mulde, in festem Fels nordseitig weiter um einen Gratzacken herum und auslaufend wieder auf die Südseite. Die Gegenseite bietet wieder eine schöne und leichte Kletterpassage auf die Grathöhe zurück.
Darauf folgt eine weitere schöne scharfe Passage auf schmalem Rücken, der am Ende einige Meter in einer Verschneidung nordseitig in die nächste Scharte abgestiegen wird. Nordseitig führen wiesendurchsetzte Schrofen um den Zacken herum, bevor der nächste ungangbare Aufschwung wieder südseitig auf einem Wiesenband aufgestiegen wird.
Dahinter folgt nach kurzer Strecke in der Südflanke eine Mulde, die auf die schönste Passage, die von der Unteren Wettersteinspitze aus eingesehen werden kann.
Wir stiegen diese bis zum obersten Latschenkranz in der Wiesenrampe auf, um die Gegenseite zu mustern.
Es wäre hier wahrscheinlich möglich, auf das im AV-Führer beschriebene Geröllfeld „…in der Nordflanke [Anm. d. Verf.: unglücklich formuliert, es handelt sich nicht um die Nordseite, das Geröllfeld liegt südlich vom Grat!] eingelagerten Geröllfeldes…“ 2 mit kurzem Abstieg zu wechseln und mühsam über diese Mulde aufzusteigen.
Wir haben es nicht probiert, es könnte eine Alternative zum nächsten Gratabschnitt sein, dem Schönsten der Überschreitung, wie der Verfasser meint.
Von dieser Stelle (nach Erinnerung mit einem Latschenbündel ausgestattet) stiegen wir in festem Fels einige Meter nördlich zurück in Richtung Grathöhe. Im Verlauf gelangten wir an eine steil abfallende Passage mit einem schmalen Steigband, das in wunderbar festem Wettersteinkalk auf die Grathöhe leitet.
Wieder auf der Oberseite kann der folgende Verlauf des Aufstiegs parallel an einer breiten Rippe eingesehen werden. Die Rippe selbst könnte begangen werden, bequemer ist der Aufstieg in den Schrofen daneben.
Auf der Oberseite der Rippe kann der Verlauf des Anstiegs zum Massiv der Oberen Wettersteinspitze erkannt werden und er vermittelt leider auch das Ende der Kletterei auf schmalen Gratpassagen.
In Steigrichtung hinter dem letzten Gratkopf führen einige Meter Abstiegs hinab an den Anschluß zum Massiv, der die letzte Kletterpassage am Grat darstellt.
Dieser Abstieg führt wieder durch brüchige Schrofen, die unbequem zu begehen sind. Eine Alternative könnte aus einem nordseitigen Abstieg oberhalb eines großen Klemmblockes bestehen, der jedoch ausgesetzter aussieht als jener auf der Südseite.
Nach dem Abstieg in den Sattel zum Massiv erwarteten uns die letzten Meter Gratstrecke auf der Gegenseite, die nordseitig auch bereits im Schatten der Oberen Wettersteinspitze liegen.
Über den querenden Aufstieg über ein breites Geröllfeldes auf der Nordseite erreichten wir den Normalsteig von Mittenwald herauf. Vom letzten Gratkopf bis zum Gipfel der Oberen Wettersteinspitze benötigten wir gut 10 min.
Wieder in der Sonne freuten wir uns über diese schöne Überschreitung und die Aussicht auf einen zwar großteils schattigen, jedoch noch unbekannten Abstieg. Und daß jener auch begehenswert ist, entdeckten wir über die Steilpassagen hinab. Der Aufstieg über ihn dürfte einer der mühsamsten im Wettersteingebirge sein.
Bei der Gipfelrast auf der Oberen Wettersteinspitze kann der Wettersteingrat zur Rotplattenspitze gut eingesehen werden. Berichte über gut die Hälfte des Wettersteingrates sind hier am Blog zu finden, beginnend mit dem weglosen Aufstieg zur Wettersteinwand und der Überschreitung zur Rotplattenspitze sowie von Osten auf die Obere Wettersteinspitze und der Überschreitung zur Rotplattenspitze.
Ebenfalls der schöne Aufstieg auf den Öfelekopf und die Überschreitung der Dreitorspitzen bieten die schönsten Erlebnisse im Wetterstein.
Im Nordwesten findet sich das Ammergebirge, in dem der Verfasser eine bärige Schitour auf den Westlichen Geierkopf ausgeführt hatte und genau zum Zeitpunkt des Durchschlags des Kramertunnels die Überschreitung des Kramerspitzes mehr als 1.000 m über dem Ereignis im Tunnel ausführen wollte und das Timing letztlich nicht ganz getroffen hat.
Südlich gegenüber befindet sich der freistehende Arnstock, der von seiner Entstehung dem Wettersteingebirge zugerechnet wird. Seine komplette Überschreitung zählt zu den klassischen im Gebiet zwischen Wetterstein und Karwendel.
Den Rückweg konnten wir nun über den Normalsteig von Mittenwald ausführen und die Schlucht über die Untere Wettersteinspitze blieb uns im Abstieg erspart. Dieser führt teilweise sehr steil durch die gesamte Nordseite der Oberen Wettersteinspitze und wartet mit einem beträchtlichen tiefen Abstieg von 1035 m bis zur Abzweigung des Franzosensteigs vor den Ferchenseewänden auf.
Auf diesem müssen wieder 230 Hm zum Hochpunkt am Rücken des abfallenden Wettersteinkamms aufgestiegen werden. Dabei wird die Abzweigstelle zum Steig zur Unteren Wettersteinspitze wieder erreicht.
Jene, die diesen schönen, bizarren Steig vom Wald bis zum Gipfel aufsteigen, mögen ihn nicht unterschätzen, er ist sehr steil und führt teilweise über leicht ausgesetzte Passagen.
Im Abstieg bot er uns schöne Blicke in die graue, niemals beschienene Nordwand zwischen Unterer und Oberer Wettersteinspitze.
Für den Abstieg vom Gipfel auf bayerischem Gebiet, dem Wiederaufstieg zum Hochpunkt und dem Endabstieg bis zurück zum Parkplatz in der Schanz benötigten wir 2 ¾ Stunden.
Entlang historischer Grenzsteinen am nördlichen Teil des Franzosensteigs führt derselbe durch Mischwald wieder auf tirolisches Gebiet. Die Grenzschilder wurden nicht am tiefsten Punkt der Grenze errichtet, sondern weiter oben.
Wer im Aufstieg recht bald nach der Abzweigung auf den Franzosensteig im Mischwald den offenen Felsen genau beobachtet, erkennt dort ein eingemeißeltes historisches Grenzzeichen. Es dürfte den Tiefpunkt der Grenzziehung auf der Nordseite markieren. Nach diesem werden die Grenzsteine angetroffen.
Insgesamt waren wir auf der phantastischen Überschreitung mit der Rundwanderung zurück knapp 8:30 Stunden unterwegs. Die Steigarbeit betrug 1.610 m und die Wegstrecke etwa 10 km.
Mils, 10.11.2024
1 Helmut Pfanzelt/Siegfried Aeberli, Wettersteingebirge, Mieminger Kette. Ein Führer für Täler, Hütten u. Berge (Alpenvereinsführer : Reihe Nördl. Kalkalpen), München 1971, S. 281
2 Ebd., S. 282 f.