Selten bleibt es vollkommen aus, daß die Natur dem Bergsteiger niemals ein Schnippchen schlägt, kaum aber passiert es am harmlosen Beginn einer Tour so drastisch wie es uns auf die Westliche Mitterspitze erwischt hat. Die Bestrafung für die Schlauheit den Anstieg zum Unterplattig auf dem höheren der beiden Steige über das Mitterbergle zu nehmen war schweißtreibend und zehrte an den Nerven.
Im Kartenwerk finden sich die beiden Routen als Steigspuren abzweigend vom Fahrweg, bzw. der obere, vom weiterführenden Pfarrer-Kathrein-Steig auf den Henneberg.
Nun könnte man den unteren direkt als ersten nehmen, der jedoch auf der Karte mit einer Unterbrechung auf dem Wiesenrücken in der Karte verzeichnet ist. Also entscheidet man sich für den oberen, der den Bach weiter oben – unter den Felsen – überquert und ohne Höhenverlust weiter auf das Mitterbergle zurückquert.
Ziemlich verdattert standen wir dann am Ende des oberen Steiges und blickten auf einen riesigen Einschnitt im Bachschutt mit keiner richtig sichtbaren Fortsetzung des Steiges auf der Gegenseite.
Zuversichtlich den Steig drüben anzutreffen stiegen wir in den Einschnitt ab und drüben unangenehm unter viel losen Partien und großer Steilheit in die Latschen. Natürlich fanden wir den Steig nicht, jede Gasse erwies sich nach kurzer Strecke als Sackgasse. So hieß es einen unangenehmen Rückzug zu nehmen, um die Lage zu erkunden.
Wieder auf der Ausgangsseite beim Erkunden zeichnete sich dann oberhalb der Stelle an der wir es zum ersten Mal versuchten an einer leichten Geländerippe eine ausgeschnittene Latschengasse ab, die es sein mußte. Also wieder in den Einschnitt, jedoch etwas höher und noch unangenehmer über kleinkörnige Schotterflächen zur Latschengasse.
Am Weg dorthin verursachten die steilen Böschungen so manchen Rutscher, der mit aufgeschürften Schienbeinen bezahlt wurde. Endlich erreichten wir die gesichteten Steigspuren und dort Zeichen von sehr alter Ausholzung.
Die Freude war nicht von langer Dauer als wir nach wenigen Dutzend Metern einen völlig zugewachsenen Verlauf feststellen mußten und bereits mit Verrenkungen das Durchkommen übten. Zum Glück wies uns bald eine Schuttreise eine Latschengasse, auf der wir im direkten Anstieg in die Felsen oberhalb nach einer Stunde wirklichen Kampfes endlich den Ausgang aus dem Latschenfeld fanden.
Die Plagerei am warmen Hochsommertag hatte uns eine Dreiviertelstunde und die geringe Steiggeschwindigkeit darüber hinaus merklich Nerven gekostet. Zeitverluste gegenüber dem Plan sind des Bergsteigers Gift dieser Tage und wir waren einer Steigangabe erlegen, die aufgrund der Arbeit des Baches an ihren Flanken Jahrzehnte nicht mehr intakt ist, sich aber auch nach wie vor im Kartenwerk wiederfindet.
Angespannt ging es über das steile, wiesendurchsetzte Unterplattig weiter. Wenigstens gewannen wir dann rasch an Höhe, um den unrühmlichen Versteiger in der Tiefe vergessen zu können. Das Gelände dort ist schon kein Wandergelände mehr und bei Nässe um Einiges gefährlicher als ein gleich steiles Felsgelände.
Über bankige Schrofen erfolgt dort der Aufstieg recht direkt, der auch gut markiert ist, jedoch mehrere Routen aufweist. Man täte gut daran, sich für eine zu entscheiden, wäre das so einfach möglich. Nach etwa einer guten halben Stunde erreichten wir einen Rastplatz, der mit einem Bankl und ausgehauenem Standplatz komfortabel hergerichtet wurde.
Von dort quert der Steig dann westwärts unter mäßigerer Steigung als zuvor. Bald wird eine Rinne unter leichtem Höhenverlust überquert und das Gelände führt unter der ersten Felsrippe auf eine abgewaschene, mäßig steil geneigte Felsfläche in den Schatten des Ausläufers vom Westlichen Schoßkopf herunter.
Kurz darauf standen wir unterhalb einer hohen Felsstufe in das darüberliegende Kar, „Große Schoß“ genannt. Es kann über ein schräg nach oben verlaufendes Rißsystem erklommen werden. Zur Hilfe dient eine Drahtseilversicherung mit einer aufgescheuerten Stelle, die aber noch gut tragfähig ist.
Die Große Schoß erwies sich an dem klaren Sommertag als eine harte Nuss hinsichtlich durchgehend großer Steigung und dem monoton zurückzulegenden Höhenunterschied von 470 m bis zu den Felsen unterhalb der Einschartung zwischen Östlicher Griesspitze und Westlicher Mitterspitze. Dieser Teil hat uns eine volle Stunde gekostet.
Nach der Wandstufe, an der Stelle des beschrifteten Felsens „West. Mitterspitze“ zweigt scharf westlich der Anstieg zum „Fisch“ ab, dem Anstieg zur Östlichen Griesspitze. Bezeichnet ist dieser nur mit einem „F“ und einem Pfeil etwas entfernt und im Schatten am Morgen nicht deutlich sichtbar, also leicht zu übersehen.
Das untere Kar ist begrünt und in dessen Mittelteil tummelte sich eine Herde Schafe. Es muß also noch einen anderen Zugang zur Großen Schoß geben, als über die direkte Felswand.
Oberhalb der begrünten Karfläche trafen wir auf Schuttreisen, die ein gutes Stück an Weg und Höhenunterschied zur Felslinie der Karbegrenzung ausmachen. Jedoch führt auch durch sie ein Steig, der auch sichtbar ist. Sogar ein kleiner Felsbrocken mitten in der Reise trägt zur Orientierung eine rote Markierung (im Frühjahr sicher länger mit Schnee bedeckt) und weist zum Einstieg, der ebenfalls weithin sichtbar markiert ist. Eine Wasserrinne wird im Anstieg durch das Schuttkar links liegen gelassen.
An der Felslinie beginnt eine nette leichte Kletterei, die teilweise die Hände erfordert. Nach oben hin bilden sich mehr und mehr schräge Flächen aus, die mit Schutt belegt sind und den Aufstieg zur Einschartung erschweren. Dort endet plötzlich die vorher reichlich erlebte Markierung des Aufstiegs.
Da wir die Scharte vor Augen hatten und nicht mehr auf die Markierung angewiesen waren, wäre es auch möglich, daß dieselbe über eine Rinne links wegführt und eine Rinne hinauf zur Westlichen Griesspitze markiert. Das gilt es nun ein andermal festzustellen. Jedenfalls bemerkten wir plötzlich und zu spät, daß die Markierungen am Weg zur Scharte an irgendeiner Stelle aufhören mußten und fehlten.
Die Scharte mit ihren Ausblicken auf die Nordseite der Mieminger, sichtbar vornehmlich die Tajaköpfe und die Ehrwalder Sonnenspitze, verbunden mit einer leichten Brise Jochwind brachten wieder etwas frischen Elan in den vom steilen, heißen und monotonen Steigen ermüdeten Körper. Der Restaufstieg auf die Westliche Mitterspitze verläuft direkt am Grat, ist leicht ohne Kletterei zu begehen und regt – wie die meisten Gratverläufe – an.
Zuerst jedoch erkundeten wir von der Scharte aus einen Aufstieg auf die Östliche Griesspitze direkt am Grat, der allerdings nicht so leicht machbar schien, da der Gratschrofen westseits der Scharte jäh und senkrecht abbricht.
Also ein ungangbarer Zacken, der nur durch den Abstieg, der Unterquerung etwa 40 Hm unterhalb und einem Wiederaufstieg in einer schmalen Rinne auf den Grat möglich ist. Umso unglaublicher schien uns ein Gipfelbucheintrag, daß man den wahrscheinlich – durch die Brüchigkeit – meist heiklen Grat von den Griesspitzen bis zum Hochplattig incl. Aufstieg aus dem Tal an einem Tag zurücklegen kann.
Von der Scharte müssen noch 120 Hm auf die Westliche Mitterspitze zurückgelegt werden und unter tollen Tiefblicken auf die Nordseite der Mieminger Kette erfolgen sie mit wesentlich weniger Mühe als die 650 Hm in der Großen Schoß.
Die Bergrettung Mieming hat ein Jahr zuvor ein schönes neues Kreuz aufgestellt und die Mitglieder haben es über den beschwerlichen Anstieg per Muskelkraft hinaufgebracht, was besondere Achtung verdient.
Am Westgipfel der Mitterspitzen kann die Östliche Mitterspitze eingesehen werden, ohne eine weitere Gratbegehung nicht aber der Mittelgipfel. Rechts neben dem Ostgipfel erhebt sich der Westgipfel des Hochplattig und beim Abstieg über den Schoßgrat konnten wir den bizarren Gratverlauf dorthin bewundern. Beim direkten Anblick aus dieser Nähe staunt man, daß dieser bei der allgemeinen Brüchigkeit in diesem Teil des Grates mit nur einer Einstufung als schwierig begehbar ist.
Nach Norden hin erstrecken sich die ausgedehnten Kare mit ihren zahlreichen kleinen Seen. Direkt nördlich unterhalb liegt das Brendlkar mit seinen noch vorhandenen zwei Seen. Einer der beiden oberen Seen ist bereits ausgetrocknet, der zweite steht kurz davor zu verlanden.
Die rechte Begrenzung des Brendlkars bilden die Iglsköpfe mit der Übergangsscharte vom gleichnamigen Iglskar. Meist handelt es sich bei den von oben phantastisch grünblauen Seen um Felsbeckenseen glazialen Ursprungs.
Den Abstieg wählten wir über den Schoßgrat. Die Tageszeit war – nicht zuletzt durch den Verhauer am Anstieg ins Unterplattig – fortgeschritten und an die weitere Gratstrecke zum Ostgipfel nicht mehr zu denken. Simon hatte den AV-Führer studiert und auf die Möglichkeit des Schoßgrates im Aufstieg hingewiesen – diese nahmen wir nun wahr.
Bereits auf den ersten Metern am Grat, nach dem Zurücklassen der Geröllstrecke am Gipfelaufbau, zeigt der Grat Zähne. Nicht, daß sofort mit dem Abklettern begonnen werden muß, so doch mit sehr steilen Einlagen von Schrofen zu beiden Flanken und einem Steilabbruch, der im Sturzfall nicht zu unterschätzen ist, in die Kleine Schoß hinab.
Einige Passagen erfreuen gleich das Herz des Gratkletterers, wenn es auch leichter gewesen wäre, die Gratbegehung im Aufstieg genommen zu haben.
Hin und Wieder begegneten wir Steinmännern, die an der unmittelbaren Gratschneide natürlich ihrem Zweck kaum gerecht werden und meist dort fehlen, wo vom Grat abgewichen werden muß – so weiter unten am Schoßgrat.
Gegen die Seitenrippe hin – es handelt sich um jene, die in Abstiegsrichtung rechts abzweigt – neigt der Schoßgrat sich mit einer immer steiler werdenden Gradiente und das letzte sichtbare Steinmandl am unmittelbaren Grat fiel schon nicht mehr unsere Wahl der Begehung, die zum Östlichen Schoßkopf hin führt.
Wir entschieden uns für die Abzweigung nach rechts, wobei man nicht davon sprechen kann, daß es sich um eine echte Gratgabelung handelt, weil nach rechts über die Flanke abgestiegen werden und ein breites Schuttfeld überquert werden muß, bevor sich dieser Teilgrat in Richtung zum Westlichen Schoßkopf wieder schroff ausbildet.
Der Abstieg über die Westflanke erfolgt unangenehm auf plattigem, schuttbelegtem Fels und endet in einer Schuttreise vor einem Steilabbruch, der auch von oben nicht eingesehen werden kann. Somit begaben wir uns in eine ungewisse Situation, die nur mit der Hoffnung verbunden war, daß wir das Richtige unternahmen, nicht aber mit der Gewissheit.
Im gegenteiligen Fall hätte nur ein langer Rückweg zum Gipfel den Ausweg gebracht, denn beide Seiten des Schoßgrates sind von Senkrechtabstürzen an der Basis geprägt und für den Ortsunkundigen ungangbar.
Die Spannung spitzte sich zu, als wir den Gratansatz erreichten und der erste Ausblick vor dem Turm mit den auffälligen Verwitterungsflächen und der Rutschfuge an seiner Basis war ernüchternd. Daß dieser Turm nicht schon in die Tiefe abgerutscht ist erscheint beim ersten Anblick als ein Wunder.
Allerdings bestätigte sich das von weit oben, vom Schoßgrat aus gesehen, daß seine Westseite begrünt ist und eine bequeme Überleitung auf den sich dahinter ausbildenden Westliche Schoßkopf darstellt. Simon überkletterte die Mauer nach der heiklen Rutschplatte und fand dahinter einen leichten Abstieg über ein paar Meter Schrofengelände zur Scharte.
Diese Stelle markiert gleichzeitig auch das Ende des schwierigeren Teils des Schoßkopfgrates und nach der Scharte beginnt ein kurzes Stück von festem Wettersteinkalk, bevor dieser sich in eine harmlose aber steile Flanke auflöst.
Der Rest des Abstiegs erfolgt über flacher werdende begrünte Bergwiesen, die auch der Schafzucht dienen, wie am Zugangssteig durch die Flanke von der Großen Schoß aus vermutet werden kann. Dieser Steig wird auch für den Abstieg genutzt, er endet im mittleren Drittel derselben auf dem Aufstiegssteig.
Der Abstieg ins Tal erfolgte entlang der Aufstiegsroute, wobei wir jedoch diesmal nun den Steig, der direkt über das Mitterbergle führt verfolgt haben und großteils auf dem gut sichtbaren und teilweise mit alten Markierungen versehenen Steig durch Wald und unten Latschen, wieder auf den Henneberg und weiter zum Parkplatz am Waldschwimmbad gelangten.
Unter Rücksichtnahme im Abstieg auf Andis defektem Knie benötigten wir für diese schöne Runde knapp 12 Stunden incl. allen Pausen, Erkundungen und dem Schnitzer am Mitterbergle.
Den Anstieg über den Schoßgrat und die Begehung der Großen Schoß im Abstieg gewählt, sowie moderat kurze Pausen sollte man in der Planung die Tour mit minimal 8 bis eher 9 Stunden Zeitbedarf bei der Erstbegehung veranschlagen können.
Zu bewältigen sind 1.850 Hm und die vollkommen südseitige Ausrichtung sollte im Sommer hinsichtlich des Trinkvorrates berücksichtigt werden.
Mils, 21.08.2021